Rekordhitze und Starkregenereignisse stellen Verkehrsbetriebe vor große Herausforderungen. Die Hochwasserkatastrophe im Tullnerfeld zeigt, worauf es jetzt ankommt. Von Frank Jödicke.
Herbst 2024, ein überfüllter Bahnsteig in Österreich. Ein Fahrgast redet auf die Zugbegleiterin ein. Offensichtlich zerren die Zugausfälle an den Nerven vieler Kund:innen. Der Mann zeigt erbost auf den beistehenden Securitymitarbeiter und den zufällig vorbeigehenden Verschieber in seiner dicken Schutzkleidung und ruft: „Sie können also nichts dafür, der Herr kann nichts dafür und dieser Herr auch nicht“. Die Zugbegleiterin bleibt freundlich. Was soll sie sagen? Ja, in der Tat, niemand von ihnen kann etwas dafür, dass wieder eine Garnitur ausfällt.
Mitte September gingen das Sturmtief Anett über weite Teile Niederösterreichs nieder. Das gesamte Bundesland wurde aufgrund nie dagewesener Regenmengen zum Katastrophengebiet erklärt. Beim Atzenbrugger Eisenbahntunnel nahe dem Bahnhof Tullnerfeld fallen beide Pumpkraftwerke gleichzeitig aus, nachdem das Wasser durch die Notausgänge hineingeströmt war. Am Ende stand es im Tunnel einen Meter siebzig hoch. Die Schäden werden sich laut ÖBB auf 100 Millionen Euro belaufen. Bis zum 15. Dezember soll zumindest provisorisch die Hochgeschwindigkeitsstrecke wieder befahrbar sein. Ein enormer Kraftakt für alle Beteiligten.
Auch der Serverraum im Bahnhof Tullnerfeld stand unter Wasser. Der ist notwendig, weil auf der Strecke ein digital gesteuertes Zugsicherrungssystem verbaut ist. Über sogenannte Balisen (die als kleine gelbe Kästen auf den Schwellen zu erkennen sind) wird mit den vorbeifahrenden Zügen elektronisch kommuniziert. Wartungsanfälligere Signale sind deshalb nicht mehr nötig und so kann die Strecke mit einer Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h gemäß ETCS (Level 2) befahren werden. Unter anderem wurde diese Technik durchdas Hochwasser zerstört und muss jetzt binnen kürzester Zeit mittels schwer zu beschaffender Ersatzteile aus ganz Europa ersetzt werden.
Kurzgefasst
Wer hält den Betrieb trotz Hochwasser, Rekordhitze und Co, aufrecht? Der im September 2024 überflutete Atzenbrugger Tunnel und der Bahnhof Tullnerfeld zeigen, wie schwer es für Verkehrsbetriebe geworden ist. Die Wirtschaft und Umwelt hat sich bei den Beschäftigten der ÖBB etwas umgehört. Das Pflichtbewusstsein ist hoch, die Probleme durch den Klimawandel aber herausfordernd.
Einsatz, damit der Zug fährt
Vieles funktionierte damals gut, im Angesicht der Katastrophe. Betroffenen Bahnstrecken wurden frühzeitig gesperrt, Reisewarnungen rechtzeitig ausgegeben. Als die Menschen sahen, dass Flüsse und Bäche immer bedrohlicher anstiegen, hielten sie zusammen. Die Freiwilligen Feuerwehren unterstützen die Unternehmen ÖBB und EVN im Kampf um den Erhalt der lokalen Infrastruktur. Die eigenen Mitarbeiter:innen leisteten freiwillige Zusatzdienste, obwohl sie in Sorge um das eigene Haus sein mussten, das ebenso von den Fluten bedroht war.
Die Schwierigkeiten der Aufräumarbeiten begleiten die Eisenbahner:innen seit dem. Im Katastrophenfall erweisen sich die Liberalisierungen der letzten Jahre durchaus als hinderlich, deutet Robert Hofmann, Zentralbetriebsratsvorsitzender der ÖBB Infra, im Gespräch mit der Wirtschaft und Umwelt an. Beispielsweise wird mittlerweile die Baustellenabsicherung an Drittfirmen vergeben. Die Kolleg:innen dort arbeiten gut und sorgfältig, nur sind sie nicht mehr Teil des Bahnunternehmens. In einem integrierten Konzern kommunizieren die Akteur:innen mehr miteinander und sie identifizieren sich mit dem Unternehmen. Insbesondere im Streckenmanagement und der Anlagentechnik arbeiten sehr unterschiedliche Berufsgruppen zusammen.
„Das Gebot ‚Der Zug muss fahren‘ steckt in den Genen der Eisenbahner:innen und in der Krise halten die Mitarbeiter:innen zusammen. Das Arbeitsrecht wird sich an die erschwerten Bedingungen durch Extremwetterereignisse anpassen müssen.“
Angesichts der Überschwemmungen wurde jedes Paar helfende Hände gebraucht und die „Eisenbahnfamilie“ hielt zusammen. Damit dies auch weiterhin so sein kann, muss dem zunehmenden Fachkräftemangel begegnet werden. In den nächsten Jahren werden bei den ÖBB 17.500 Mitarbeiter:innen in Pension gehen. Der Markt für Fachkräfte ist weitgehend lehrgefegt und deswegen kommt der Lehrlingsausbildung eine große Bedeutung zu. Im Betrieb sollte der Wissenstransfer zwischen den älteren Kolleg:innen und den Auszubildenden gelingen.
Gemeinsam die Krise meistern
Das kann nur glücken, wenn die Verkehrsbetriebe attraktive Arbeitgeber bleiben. Die zunehmenden Extremwettereignisse verändern die Arbeitswelt. Noch immer ist das Arbeitsrecht auf den Regelbetrieb ausgelegt. Aber die Lage verändert sich drastisch: Neue Berufskrankheiten entstehen für Eisenbahner:innen, beispielsweise durch die vermehrte UV-Strahlung. Viele Kernberufe des Eisenbahnsystems, von den Verschieber:innen bis zu den Sicherheitstechniker:innen arbeiten, wenn teilweise 40–50 Grad Celsius über den Gleisbetten herrschen. In den Böschungen erzeugt das Ragweed Hautausschläge.
All diesen neuen Schwierigkeiten kann durchaus mit einzelnen Gegenmaßnahmen begegnet werden, wie beispielsweise klimatisierten Triebfahrzeuge, dem Weißen der Gleise um weniger hitzebedingte Gleisverwerfung zu haben oder stärkeren Abpumpanlagen. Viele dieser Maßnahmen erfordern zugleich einen höheren Personalbedarf.
Das Pflichtbewusstsein ist noch immer auf hohem Level bei den ÖBB, meint Robert Hofmann, aber die dauernden Bilder von Katastrophen, verärgerten Fahrgästen und die immer selteneren Ruhephasen eines überblickbaren Normalbetriebs machen auch seelisch etwas mit den Kolleg:innen. In den Betrieben müssen die Mitarbeiter:innen vor Überlastung geschützt werden und der Fokus muss verstärkt auf der betrieblichen Gesundheitsförderung liegen. Es braucht Arbeitsbedingungen, die den aktuellen Entwicklungen angepasst sind, um gemeinsam die zukünftigen Herausforderungen zu meistern. Denn Jobs mit Nachtschichten, sowie Sonn- und Feiertagsarbeiten stehen aktuell nicht sehr weit oben in der Beliebtheitsskala von Arbeitnehmer:innen.
Was ist Extremwetter?
Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) definiert Hitze als längere Perioden mit plus 30 Grad Celsius, den Starkregen mit 15 bis 25 Litern pro Quadratmeter in der Stunde und den Sturm als Windgeschwindigkeiten von mindestens 74,9 Kilometern pro Stunden, dies entspricht 9 Beaufort.
Eine gut ausgebaute Infrastruktur im öffentlichen Verkehr ist nicht nur entscheidend für den Klimaschutz, sondern bietet auch ein enormes Arbeitsplatzpotenzial. Eine neue Studie der Arbeiterkammer zur „Daseinsvorsorge 2030 – Gute Grundversorgung für alle innerhalb der planetaren Grenzen“ macht deutlich, wie der Ausbau der Öffis nicht nur die Lebensqualität vieler Menschen verbessert, sondern auch die Schaffung tausender Arbeitsplätze ermöglicht.
Besonders problematisch sind die großen regionalen Unterschiede, was Qualität und Verfügbarkeit der öffentlichen Verkehrsmittel (=ÖV) betrifft. Derzeit finden 53 Prozent der Menschen in Österreich ein gutes Öffi-Angebot (= ÖV-Qualitätsklasse A–D) an ihrem Wohnort vor, während 13 Prozent und damit 1,16 Millionen Menschen außerhalb jeder ÖV-Güteklasse leben. Für sie bedeutet es, keinen Zugang zu einem Öffi-Angebot zu haben und in hohem Maße auf ihr privates Auto angewiesen zu sein. Hier macht sich auch der Kahlschlag der vergangenen Jahrzehnte bemerkbar, als Hunderte Kilometer an Regionalbahnen stillgelegt wurden. Im Bahnverkehr müssen daher die Schienennetze weiter ausgebaut werden. Die bestehende Verkehrsinfrastruktur muss widerstandsfähiger gegen Extremwettereignisse werden. Das haben die Überflutungen entlang der “Neuen Westbahnstrecke“ uns drastisch vor Augen geführt.
Recht auf Mobilität schafft Chance auf Arbeitsplätze
In Österreich sind derzeit rund 370.000 Menschen arbeitslos – Tendenz stark steigend. Die Aufstockung von Personal im öffentlichen Verkehr ist auch im aktuellen Status quo bereits schon dringend notwendig, um die Beschäftigten zu entlasten und die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Wenn darüber hinaus das Recht auf gute und nachhaltige Mobilität umgesetzt werden soll, schafft dies zahlreiche neue Arbeitsplätze. Nimmt man die flächendeckenden Ausbauszenarien des Projekts FLADEMO, so werden bis zum Jahr 2030 für den Ersatz von Pensionierungen und die Ausweitung des Angebotes zusätzlich rund 39.000 Verkehrsbeschäftigte benötigt. Das ist fast die Hälfte aller 80.500 Menschen, die 2021 im öffentlichen Verkehr beschäftigt waren. Darüber hinaus wird es zu Beschäftigungsimpulsen durch den einmaligen Ausbau bzw. die Umrüstung der bestehenden Verkehrswege kommen. Die Autor:innen der AK-Studie berechnen für die Jahre 2024 bis 2030 aufgrund von Investitionen in die Infrastrukturen des öffentlichen Verkehrs, die Elektrifizierung der Fahrzeugflotte, sowie den Rad- und Gehwegbau einen Beschäftigungsimpuls von 28.100 bis 37.600 in der Baubranche und der Industrie.
Was braucht es konkret?
Ein Recht auf gute und nachhaltige Mobilität! Ein gutes Angebot an Bahn- und Busverbindungen ermöglicht und erleichtert den Menschen den Umstieg auf Öffis.
Effektive Planung durch die öffentliche Hand! Damit die Menschen künftig besser mit öffentlichem Verkehr versorgt sind, braucht es dringend einen Ausbau. Eine effiziente Planung durch die öffentliche Hand ist entscheidend, um dies umzusetzen und den Bedarf an dringend benötigten Arbeitskräfte zu decken.
Faire Löhne und bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten bei Bahn und Bus! Für eine langfristige Sicherung der qualitativ hochwertigen Daseinsvorsorge brauchen die Beschäftigten eine dringende Verbesserung der Arbeitsbedingungen.
Gemeinwohlorientierung stärken! Die Liberalisierung führte für die Beschäftigten im Mobilitätsbereich zu schlechteren Arbeitsbedingungen. Weitere Liberalisierungen sind daher abzulehnen.
Aufweichen der strengen EU-Fiskalregeln! Damit die Städte und Gemeinden die notwendigen Investitionen in Milliardenhöhe in den Ausbau der Öffis leisten können, müssen diese Investitionen von den strengen EU-Schuldenregeln ausgenommen werden.
Recht auf Weiterbildung! Die Arbeitnehmer:innen müssen für die Zeit der Qualifizierung eine ausreichende und langfristige Existenzsicherung erhalten.
Abstimmung der Raumplanung mit dem ÖV-Angebot und Reduktion der Mobilitätszwänge: Die Raumordnung der Länder muss sicherstellen, dass ein verbessertes ÖV-Angebot nicht zur weiteren Zersiedelung führt.
Gesetzliche Verankerung von betrieblichem Mobilitätsmanagement: Die Verantwortung der Unternehmen für die Arbeitswege ihrer Mitarbeiter:innen ist zu stärken.
Fazit
Auch im Mobilitätsbereich führt ein Ausbau der Daseinsvorsorge – in diesem Fall des öffentlichen Verkehrs – zu einer Win-win-Situation: Ein Recht auf gute und nachhaltige Mobilität kann die Benachteiligung von Einwohner:innen in ländlichen Regionen senken. Fällt der Zwang zum Auto weg, kommt dies einer großen Kosteneinsparung gleich. Zusätzlich ist der Ausbau der Öffis – wie schon gezeigt – eine Jobmaschine. Wechseln viele Menschen vom Pkw auf Bahn und Bus, so senkt das die Treibhausgasemissionen enorm. Und auch bei der Finanzierung gibt es eine gute Nachricht: Die Einsparungen beim nicht benötigten Autoverkehr sind weit höher, als der ÖV-Ausbau kosten würde.
Dieser Blogbeitrag basiert auf der Studie der Arbeiterkammer, zuerst erschienen im A&W-Blog
Autorenschaft: Heinz Högelsberger, Abteilung Klima, Umwelt und Verkehr AK Wien
2023 war ein Rekordjahr für unsere Bahnen: Sie beförderten 328 Millionen Fahrgäste, die dabei insgesamt 14,5 Milliarden Kilometer auf der Schiene zurücklegten – ein Allzeithoch. Doch damit unsere Bahnen zum Rückgrat eines Rechts auf gute und nachhaltige Mobilität werden, braucht es mehr: eine soziale und ökologische Bahnpolitik jenseits marktliberaler Leitbilder.
Gründe für den Erfolg der Bahnen
Die Gründe für den Höhenflug der Bahnen liegen einerseits in gestiegenen Energie- und Treibstoffpreisen, ausgelöst durch den Angriffskrieg Russlands, andererseits im langfristigen Kurs der österreichischen Bahnpolitik. Nicht zuletzt hat die Verkehrsgewerkschaft vida in der Phase des euphorischen Neoliberalismus (1990er Jahre bis zur Finanzkrise 2008) erfolgreich Widerstand geleistet. So konnten die Liberalisierungsschritte auf das EU-rechtliche Minimum beschränkt werden und das Erfolgsmodell der Direktvergabe beibehalten werden.
Auf dieser Basis setzte Klimaministerin Leonore Gewessler wichtige Impulse in Richtung einer Mobilitätswende: 2021 führte die Bundesregierung das Klimaticket ein, das Pendler:innen mit guter Anbindung an den öffentlichen Verkehr eine günstige Mobilität ermöglicht. Der ÖBB-Rahmenplan 2024-2029 sieht umfangreiche Investitionen von mehr als 21 Milliarden Euro vor, um das Schienennetz weiter zu modernisieren und auszubauen. Darüber hinaus haben die ÖBB unter der Verantwortung von Ministerin Gewessler die Nachtzugverbindungen ausgebaut.
Fehlende wirtschafts- und beschäftigungspolitische Strategie
Da die Bundesregierung ihre klima- und verkehrspolitischen Maßnahmen jedoch nicht mit einer entsprechenden wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Strategie untermauert hat, fehlt es jetzt an ausreichendem Personal und Schienenfahrzeugen. Die Fahrplanausdünnungen im Februar dieses Jahres haben dies deutlich gezeigt. Nur mit enormem Einsatz, Überstunden und viel Stress können die Beschäftigten unsere Bahnen am Laufen halten. Damit droht das Ziel der Bundesregierung, die Kapazitäten auf der Schiene bis 2040 zu verdoppeln, verfehlt zu werden. Bei der Bahn zeigt sich: Ökologische Ziele bleiben unerreichbar, wenn dabei soziale und wirtschaftspolitische Fragen ausgeblendet werden.
Ein Beispiel dafür ist der 2021 veröffentlichte Mobilitätsmasterplan. Er setzt wichtige verkehrspolitische Ziele fest, hinter die auch die nächste Bundesregierung nicht zurückfallen darf. So soll sich der Modal Split zwischen motorisiertem Individualverkehr und Umweltverbund (aufeinander abgestimmte umweltfreundliche Verkehrsmittel) von derzeit 60 zu 40 Prozent umgekehrt werden. Es fehlt jedoch ein wirtschaftspolitischer Fahrplan, wie diese Ziele erreicht werden können. Die wenigen Maßnahmen, die im Mobilitätsmasterplan genannt werden, bleiben ganz dem marktliberalen Paradigma verhaftet: Grüne Finanzmärkte und eine CO2-Bepreisung sollen es richten. Es fehlt eine sozial- und wirtschaftspolitische Strategie, die den demografischen Wandel und die durch die Mobilitätswende notwendige Ausweitung von Beschäftigung und Schienenfahrzeugen mit aktiver Arbeitsmarkt- und Produktionspolitik bewältigt.
Sieben Weichenstellungen für die Bahn der Zukunft
1. Offensive Beschäftigungspolitik und bessere Arbeitsbedingungen:
Nur mit guten Arbeitsbedingungen, höheren Löhnen und ausreichend vielen Ausbildungsplätzen wird es gelingen, das notwendige Personal für die Mobilitätswende und die Bewältigung des demografischen Wandels zu gewinnen. Dazu bedarf es einer aktiven und mit entsprechenden Mitteln ausgestatteten Arbeitsmarktpolitik. Schichtpläne und Arbeitszeiten müssen zudem eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben ermöglichen. Gleichzeitig muss die tatsächliche Arbeitszeit manipulationssicher durch eine unabhängige Kontrollbehörde überwacht werden.
2. Sicherheit und Komfort durch qualifiziertes und ausreichendes Personal:
Sicherheits- und Ausbildungsstandards dürfen nicht weiter gesenkt werden, sondern müssen im Interesse der Beschäftigten und der Fahrgäste auf höchstem Qualitätsniveau innerhalb der EU harmonisiert werden. Kein Zug darf ohne Zugbegleiter:in geführt werden. Das erhöht die Sicherheit für alle und ermöglicht die Unterstützung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Statt menschenleerer „Geisterbahnhöfe“ braucht es personell gut ausgestattete „Mobilitätsdrehscheiben“ als Umsteigeknoten. Mehr Personal bedeutet mehr Zuverlässigkeit, mehr Komfort und Kommunikation – das macht Bahnfahren noch attraktiver. Die höheren Kosten müssen den Eisenbahnunternehmen nicht zuletzt durch eine Anpassung der Verkehrsdiensteverträge abgegolten werden.
3. Die Mobilitätswende durch eine aktive Industriepolitik regional, sozial und ökologisch produzieren:
Schon heute ist Österreich im Bereich der Bahnindustrie mit 15.000 Beschäftigten gut aufgestellt. Damit auch in Zukunft die für den Ausbau unserer Bahnen notwendigen Produkte – wie Schienenfahrzeuge, Signaltechnik und Schienen – rasch genug, möglichst regional und mit guten Arbeitsbedingungen produziert werden können, braucht es eine aktive und planende Wirtschaftspolitik. Die Bahnindustrie sollte als „wichtiges Vorhaben von gemeinsamem europäischen Interesse“ definiert werden, um dafür öffentliche Fördermittel erhalten zu können. Ausschreibungen müssen verbindliche Kriterien für regionale Wertschöpfung, soziale Arbeitsbedingungen und ökologische Produktionsstandorte beinhalten und Vergabeverfahren rascher durchgeführt werden. Durch entsprechende Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen sowie einen planvollen Umbau der Wirtschaft stellt Österreich sicher, dass trotz der Krise in der Automobilbranche (z. B. bei Opel, Magna, Steyr Automotive) die industriellen Potenziale erhalten bleiben und sogar nachhaltig neu positioniert werden können.
4. Notwendige Investitionen in unsere Bahnen durch einen EU-Transformationsfonds ermöglichen:
Sozial-ökologische Investitionen in den Schienenverkehr müssen von den EU-Fiskalregeln ausgenommen werden. Zudem braucht es ab 2026 einen Nachfolger für den Wiederaufbaufonds, damit zusätzliche europäische Mittel für den Ausbau, den Zusammenschluss, die Wiederinbetriebnahme und die Modernisierung des Schienennetzes zur Verfügung stehen.
5. Von der Straße auf die Schiene mit mehr (Steuer-)Gerechtigkeit:
Während die Unternehmen im Bahnbereich flächendeckend eine Schienenmaut (Infrastrukturbenützungsentgelt) entrichten müssen, gilt die Lkw-Maut derzeit nur für das hochrangige Straßennetz. Dieses umfasst aber nur etwa 2 Prozent des gesamten Straßennetzes. Eine flächendeckende Lkw-Maut, wie sie beispielsweise in der Schweiz existiert, würde daher für mehr Kostentransparenz sorgen und die stillen und klimaschädlichen Subventionen für den Straßengüterverkehr verringern. Das brächte zusätzlich etwa 500 Millionen Euro. Weitere 700 Millionen Euro könnten auf dem höherrangigen Straßennetz durch die volle https://www.awblog.at/Wirtschaft/Lkw-Maut-Bundesregierung-verzichtet-jaehrlich-auf-700-MillionenAusschöpfung des europarechtlichen Spielraums (Wegekosten-RL) bei Mautaufschlägen für CO₂-Emissionen, Luftverschmutzung und Lärmbelastung eingenommen werden. Damit würde der Schwerverkehr auf der Straße einen fairen Beitrag zur Finanzierung der Mobilitätswende leisten. Als Gegenfinanzierung auf EU-Ebene bietet sich beispielsweise eine Kerosinsteuer in der EU oder zumindest in möglichst vielen EU-Ländern an. Kontrollen mit Biss und eine Auftraggeberhaftung müssen der Frächterlobby den Anreiz für Lohn- und Sozialdumping, Verstöße gegen Lenk- und Ruhezeiten und Geschwindigkeitsbegrenzungen nehmen.
6. Mehr Investitionen in den Güterverkehr:
Geradezu verheerend hat sich die Liberalisierung im Bereich des Schienengüterverkehrs ausgewirkt. Sein „Marktanteil“ sollte nach den ursprünglichen Zielen steigen, sinkt aber kontinuierlich. Jahrzehntelang bestand das Geschäftsmodell der Staatsbahnen darin, mit sogenannten Ganzzügen (die „in einem Stück“ von A nach B fahren) genügend Gewinn zu machen, um damit den arbeits- und kostenintensiven Einzelwagenverkehr betreiben zu können. Die Bahnliberalisierung führte zu einem Rosinenpicken: Private Anbieter interessierten sich für die profitablen Ganzzüge, das mühsame „Gröscherlgeschäft“ des Einzelwagenverkehrs blieb den Staatsbahnen, die es wegen seiner Kostenintensität kontinuierlich zurückfuhren. Große Hoffnungen werden in den Einsatz der „Digitalen Automatischen Kupplung“ (DAK) gesetzt. Sie könnte die Güterzugbildung effizienter und kostengünstiger machen und damit der Billigkonkurrenz durch den Lkw-Verkehr Paroli bieten. Für eine flächendeckende Umrüstung auf die DAK ist eine öffentliche Finanzierung nach Schweizer Vorbild notwendig.
7. Demokratie statt Liberalisierung:
Wir brauchen eine Bahn, die für uns alle da ist und unsere Mobilitätsbedürfnisse erfüllt. Deshalb braucht es mehr Mitbestimmung, wo Strecken ausgebaut werden und in welchem Takt die Züge fahren. Ebenso müssen die Beschäftigten, ihre Interessen und ihr Wissen in den Aus- und Umbau der Bahn einbezogen werden. Deshalb wollen wir als AK die Bahnen auch weiterhin in öffentlichem Eigentum sehen und lehnen weitere Liberalisierungsmaßnahmen der Europäischen Kommission entschieden ab. Die öffentliche Hand muss auch künftig entscheiden können, welches Bahnunternehmen sie mit dem Betrieb von nicht kostendeckenden Bahnverkehren betraut und nicht gezwungen sein, diese auszuschreiben. Dass dies möglich ist, hat die AK mit Rechtsgutachten nachgewiesen.
Richtungsentscheidung für die Zukunft der Bahnen
Wir alle haben ein Recht auf gute, leistbare und nachhaltige Mobilität und unsere Bahnen müssen das Rückgrat dafür sein. Die bevorstehenden Nationalratswahlen und die darauffolgende Regierungsbildung haben großen Einfluss auf die Zukunft unserer Bahnen. Vor gut zwei Jahrzehnten kam es ebenfalls nach Wahlen zur Zersplitterung der ÖBB in zahlreiche Teilunternehmen, es folgten Personalabbau, die Schließung von Regionalbahnen und die Bestellung eines teilweise inkompetenten Managements. Entwicklungen, die sich bis heute negativ auswirken und Österreich als Bahnland geschwächt haben.
Die Richtungsentscheidung bei der Nationalratswahl lautet: Wird der eingeschlagene Weg einer Mobilitätswende sozial- und wirtschaftspolitisch untermauert und vertieft – oder geht es zurück zur gescheiterten Bahnpolitik? Eine neue Regierung hat jedenfalls die Chance unsere Bahnen als Hebel für den notwendigen sozialen und ökologischen Umbau zu nutzen. Eine entsprechend ausgestattete Bahn kann als attraktiver und ökologischer Arbeitgeber Sicherheit in einer sich turbulent verändernden Gesellschaft bieten. Durch eine aktive und planende Wirtschaftspolitik können „fossile“ Industrien rascher geschlossen und die Potentiale verstärkt in die Bahnindustrie gelenkt werden.
Aufbauend auf den Stärken des österreichischen Weges in der Bahnpolitik könnten die Bahnen zum Herzstück eines Rechtes auf gute und nachhaltige Mobilität werden. Ein Recht, das es allen Menschen ermöglicht, ihre Arbeits- und Alltagswege bequem, kostengünstig und frei von Zwang zum eigenen Auto zurückzulegen. Ein Recht, das es ermöglicht, wertvolle Flächen den Menschen und der Natur zurückzugeben. Ein Recht, das Fahrgäste und Verkehrsbeschäftige in den Mittelpunkt stellt und nicht den Profit.
Lukas Oberndorfer, Leiter der Abteilung Klima, Umwelt und Verkehr AK Wien
Heinz Högelsberger, Abteilung Klima, Umwelt und Verkehr AK Wien
Dieser Blogbeitrag ist in einer längeren Fassung in der Zeitschrift „Wirtschaft & Umwelt“ erschienen. Die aktuelle Ausgabe widmet sich dem Schwerpunktthema „Neue Bahnen“.
Arbeiterkammer und Gewerkschaft vida haben für Unser Bahnen die verkehrspolitischen Vorschläge in den verschiedenen Wahlprogrammen für die Nationalratswahl gecheckt. Während einige Parteien wichtige Weichen für die Zukunft stellen möchten, drohen andere, die Österreichs Bahnen aufs Abstellgleis zu stellen.
Mit 50.000 Beschäftigten sind Österreichs Bahnen nicht nur eine wesentliche Joblokomotive, sie bilden auch das Rückgrat der notwendigen Mobilitätswende. Darum ist die Stärkung der Bahn auch eine der wichtigsten verkehrspolitischen Aufgaben der kommenden Legislaturperiode. Die bundesweit zur Wahl stehenden Parteien räumen ihren verkehrspolitischen Vorschlägen allerdings nicht nur sehr unterschiedlich viel Raum ein, auch die Vorschläge gehen weit auseinander. SPÖ und Grüne überzeugen auf ganzer Linie, ÖVP und KPÖ nur teilweise, während FPÖ und Neos den Bahnsektor kaum Aufmerksamkeit widmen.
Die Herausforderungen im Bahnsektor sind vielfältig. Es bedarf ausreichend finanzieller Mittel für den Ausbau der Bahn, neue Züge und den Betrieb, während Fahrkarten weiterhin leistbar bleiben müssen. Zudem sind mehr gut qualifizierte Eisenbahner*innen sowie bessere Arbeitsbedingungen notwendig. Die Stärkung der Güterbahnen, unter anderem durch eine gerechtere Besteuerung von Straße und Schiene, ist ebenso wichtig. Darüber hinaus ist es entscheidend, mehr Demokratie anstelle von Liberalisierung zu fördern. Eine aktive Industriepolitik sollte sicherstellen, dass das Material für die Mobilitätswende in Österreich und Europa selbst hergestellt wird.
Vor diesem Hintergrund wurden die Wahlprogramme anhand von acht zentralen Maßnahmenbereichen verglichen. Am besten schnitten dabei SPÖ und Grüne ab, sie sprechen alle acht zentralen Zukunftsweichen für die Bahnen an. Mit etwas Abstand folgen ÖVP und KPÖ, deren Wahlprogramme fünf von acht Kategorien zufriedenstellend abdecken. Ein schlechtes Zeugnis stellen AK und vida der FPÖ und den Neos aus, die nur einen von acht Punkten erreichten. Die Bierpartei, Liste Madeleine Petrovic und “Keine von denen” widmen sich der Verkehrspolitik noch unzureichender und konnten in keinem Bereich punkten.
Was in Österreich selbstverständlich scheint, ist anderswo eine große Herausforderung. In Chicago zeigt sich, was passiert, wenn Schienenverkehr privatisiert wird – und dann erst recht wieder von der öffentlichen Hand gerettet werden muss.
Die Geschichte von Metra in Chicago
In Chicago, der drittgrößten Stadt der USA, wird der regionale Schienenpersonenverkehr von Metra betrieben. Metra ist ein öffentliches Unternehmen unter dem Dach der bundesstaatlichen Verkehrsbehörde und bildet mit elf Linien und 242 Stationen das Rückgrat des Pendlerverkehrs in der 10-Millionen-Einwohner:innen-Region.
Metra verbindet die Vororte mit dem Stadtzentrum und ist deshalb besonders wichtig für sozial benachteiligte Bewohner:innen, die vorwiegend im Süden von Chicago leben. Ohne Metra wären sie vollkommen abgeschnitten vom Leben und den Jobchancen in Downtown Chicago, denn ein Auto können sich von ihnen die Wenigsten leisten. Daher scheint es nur sinnvoll, wenn die öffentliche Hand versucht, diese sozialen Unterschiede auszugleichen.
Metra war aber nicht immer ein öffentliches Unternehmen. Bis 1984 lag der Pendlerverkehr in den Händen privater Eisenbahnbetreiber. Diese zogen sich nach und nach aus dem Personenverkehr zurück, weil dieser nicht rentabel genug war, und setzten nur mehr auf den lukrativeren Schienengüterverkehr – ein Szenario, das auch anderswo droht, wenn private Betreiber sich nur Rosinen rauspicken können. Der Bundesstaat musste eingreifen und Metra wurde gegründet, um das für die Bevölkerung notwendige Verkehrsnetz aufrechtzuerhalten.
Die Folgen privater Kontrolle
Als Metra 1984 gegründet wurde, erbte das Unternehmen ein kaputtgespartes System mit veralteter Infrastruktur. Investitionen in neue Schienen, neue Leitsysteme oder neues Zugmaterial lohnten sich für die privaten Betreiber nicht – die hätten den Gewinn gedrückt und waren daher nicht vorgesehen. Metra betreibt heute den Regionalverkehr im Raum Chicago auf sieben ehemaligen privaten Linien. Weil damit aber nicht alle Vororte angebunden sind, werden Leistungen zugekauft, also an andere Unternehmen vergeben. Das betrifft vier zusätzliche Linien, die zwar nicht im Eigentum, aber im Auftrag von Metra fahren. Es wird wenig überraschen, dass dieses zusammengeflickte Stückwerk wenig effizient ist, und das Unternehmen vor große Herausforderungen stellt, wenn es darum geht, Regionalverkehr für den Chicago-Raum anzubieten.
Natürlich hinterlassen auch die fehlenden Investitionen der vergangenen Jahrzehnte ihre Spuren. Das Unternehmen setzt Waggons ein, die zwischen den frühen 1950er Jahren und 1980 gebaut wurden. Nur eine der elf Linien in der drittgrößten Metropole der USA ist elektrifiziert, auf den übrigen fahren Dieselzüge durch die Stadt. Der gesamte Reinvestitionsbedarf von Metra beläuft sich auf schätzungsweise 9,4 Milliarden US-Dollar, während das jährliche Investitionsprogramm – bei der ÖBB-Infrastruktur AG wäre das der Rahmenplan – bei lediglich knapp einer halben Milliarde US-Dollar liegt. Zur Einordung: 2023 investierte Österreich 336 Euro pro Einwohner:in in den Ausbau und die Erneuerung des Schienensystems, in Deutschland waren es 115 Euro. In Chicago betragen die Reinvestitionen in Bahninfrastruktur und Fahrzeuge zusammen nur 60 Euro pro Einwohner:in des Servicegebietes. Mit diesen Mitteln werden die notwendigsten Investitionen getätigt, etwa einstürzende Brücken oder Stiegen. Der rückständige Reinvestitionsbedarf kann jedoch nicht gedeckt werden.
Die Probleme, die Metra heute hat, wurden also von den privaten Eigentümern mitgeerbt – frei nach dem Motto Gewinne privatisieren, Verluste verstaatlichen.
Herausforderungen der Zukunft
Metra steht vor einer unsicheren Zukunft. Ein Fünftel des operativen Budgets wird auch im Jahr 2024 noch von COVID-Subventionen abgedeckt, die in zwei Jahren auslaufen werden. Wie diese finanzielle Lücke danach geschlossen werden kann, ist unklar. Das Investitionsprogramm ist stark abhängig von staatlichen und bundesstaatlichen Förderprogrammen, die sich je nach politischer Lage aber schnell ändern können. Das Infrastrukturpaket von US-Präsident Biden hat zwar einen kurzfristigen Finanzierungsboost gebracht, eine Weiterführung ist aber unklar und hängt nicht zuletzt vom Ausgang der Präsidenschaftswahlen im November ab.
Lessons Learned
Der Fall Metra in Chicago zeigt, wie gefährlich es sein kann, wenn notwendige öffentliche Dienstleistungen in private Hände geraten. Ein gut finanzierter, öffentlicher Schienenpersonenverkehr ist essenziell für das Wohlergehen und die Chancengleichheit aller Bürger:innen. Es lohnt sich daher auch in Europa und in Österreich, jeglichen Bestrebungen von Privatisierungen oder Liberalisierungen klar entgegenzustehen.
Julie Freidl – Ökonomin und Eisenbahnerin, hat vergangenes Jahr bei Metra in Chicago gearbeitet.
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