Rekordhitze und Starkregenereignisse stellen Verkehrsbetriebe vor große Herausforderungen. Die Hochwasserkatastrophe im Tullnerfeld zeigt, worauf es jetzt ankommt. Von Frank Jödicke.
Herbst 2024, ein überfüllter Bahnsteig in Österreich. Ein Fahrgast redet auf die Zugbegleiterin ein. Offensichtlich zerren die Zugausfälle an den Nerven vieler Kund:innen. Der Mann zeigt erbost auf den beistehenden Securitymitarbeiter und den zufällig vorbeigehenden Verschieber in seiner dicken Schutzkleidung und ruft: „Sie können also nichts dafür, der Herr kann nichts dafür und dieser Herr auch nicht“. Die Zugbegleiterin bleibt freundlich. Was soll sie sagen? Ja, in der Tat, niemand von ihnen kann etwas dafür, dass wieder eine Garnitur ausfällt.
Mitte September gingen das Sturmtief Anett über weite Teile Niederösterreichs nieder. Das gesamte Bundesland wurde aufgrund nie dagewesener Regenmengen zum Katastrophengebiet erklärt. Beim Atzenbrugger Eisenbahntunnel nahe dem Bahnhof Tullnerfeld fallen beide Pumpkraftwerke gleichzeitig aus, nachdem das Wasser durch die Notausgänge hineingeströmt war. Am Ende stand es im Tunnel einen Meter siebzig hoch. Die Schäden werden sich laut ÖBB auf 100 Millionen Euro belaufen. Bis zum 15. Dezember soll zumindest provisorisch die Hochgeschwindigkeitsstrecke wieder befahrbar sein. Ein enormer Kraftakt für alle Beteiligten.
Auch der Serverraum im Bahnhof Tullnerfeld stand unter Wasser. Der ist notwendig, weil auf der Strecke ein digital gesteuertes Zugsicherrungssystem verbaut ist. Über sogenannte Balisen (die als kleine gelbe Kästen auf den Schwellen zu erkennen sind) wird mit den vorbeifahrenden Zügen elektronisch kommuniziert. Wartungsanfälligere Signale sind deshalb nicht mehr nötig und so kann die Strecke mit einer Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h gemäß ETCS (Level 2) befahren werden. Unter anderem wurde diese Technik durchdas Hochwasser zerstört und muss jetzt binnen kürzester Zeit mittels schwer zu beschaffender Ersatzteile aus ganz Europa ersetzt werden.
Kurzgefasst
Wer hält den Betrieb trotz Hochwasser, Rekordhitze und Co, aufrecht? Der im September 2024 überflutete Atzenbrugger Tunnel und der Bahnhof Tullnerfeld zeigen, wie schwer es für Verkehrsbetriebe geworden ist. Die Wirtschaft und Umwelt hat sich bei den Beschäftigten der ÖBB etwas umgehört. Das Pflichtbewusstsein ist hoch, die Probleme durch den Klimawandel aber herausfordernd.
Einsatz, damit der Zug fährt
Vieles funktionierte damals gut, im Angesicht der Katastrophe. Betroffenen Bahnstrecken wurden frühzeitig gesperrt, Reisewarnungen rechtzeitig ausgegeben. Als die Menschen sahen, dass Flüsse und Bäche immer bedrohlicher anstiegen, hielten sie zusammen. Die Freiwilligen Feuerwehren unterstützen die Unternehmen ÖBB und EVN im Kampf um den Erhalt der lokalen Infrastruktur. Die eigenen Mitarbeiter:innen leisteten freiwillige Zusatzdienste, obwohl sie in Sorge um das eigene Haus sein mussten, das ebenso von den Fluten bedroht war.
Die Schwierigkeiten der Aufräumarbeiten begleiten die Eisenbahner:innen seit dem. Im Katastrophenfall erweisen sich die Liberalisierungen der letzten Jahre durchaus als hinderlich, deutet Robert Hofmann, Zentralbetriebsratsvorsitzender der ÖBB Infra, im Gespräch mit der Wirtschaft und Umwelt an. Beispielsweise wird mittlerweile die Baustellenabsicherung an Drittfirmen vergeben. Die Kolleg:innen dort arbeiten gut und sorgfältig, nur sind sie nicht mehr Teil des Bahnunternehmens. In einem integrierten Konzern kommunizieren die Akteur:innen mehr miteinander und sie identifizieren sich mit dem Unternehmen. Insbesondere im Streckenmanagement und der Anlagentechnik arbeiten sehr unterschiedliche Berufsgruppen zusammen.
„Das Gebot ‚Der Zug muss fahren‘ steckt in den Genen der Eisenbahner:innen und in der Krise halten die Mitarbeiter:innen zusammen. Das Arbeitsrecht wird sich an die erschwerten Bedingungen durch Extremwetterereignisse anpassen müssen.“
Robert Hofmann, Zentralbetriebsratvorsitzender der ÖBB Infra, ©Frank Jödicke
Angesichts der Überschwemmungen wurde jedes Paar helfende Hände gebraucht und die „Eisenbahnfamilie“ hielt zusammen. Damit dies auch weiterhin so sein kann, muss dem zunehmenden Fachkräftemangel begegnet werden. In den nächsten Jahren werden bei den ÖBB 17.500 Mitarbeiter:innen in Pension gehen. Der Markt für Fachkräfte ist weitgehend lehrgefegt und deswegen kommt der Lehrlingsausbildung eine große Bedeutung zu. Im Betrieb sollte der Wissenstransfer zwischen den älteren Kolleg:innen und den Auszubildenden gelingen.
Gemeinsam die Krise meistern
Das kann nur glücken, wenn die Verkehrsbetriebe attraktive Arbeitgeber bleiben. Die zunehmenden Extremwettereignisse verändern die Arbeitswelt. Noch immer ist das Arbeitsrecht auf den Regelbetrieb ausgelegt. Aber die Lage verändert sich drastisch: Neue Berufskrankheiten entstehen für Eisenbahner:innen, beispielsweise durch die vermehrte UV-Strahlung. Viele Kernberufe des Eisenbahnsystems, von den Verschieber:innen bis zu den Sicherheitstechniker:innen arbeiten, wenn teilweise 40–50 Grad Celsius über den Gleisbetten herrschen. In den Böschungen erzeugt das Ragweed Hautausschläge.
All diesen neuen Schwierigkeiten kann durchaus mit einzelnen Gegenmaßnahmen begegnet werden, wie beispielsweise klimatisierten Triebfahrzeuge, dem Weißen der Gleise um weniger hitzebedingte Gleisverwerfung zu haben oder stärkeren Abpumpanlagen. Viele dieser Maßnahmen erfordern zugleich einen höheren Personalbedarf.
Das Pflichtbewusstsein ist noch immer auf hohem Level bei den ÖBB, meint Robert Hofmann, aber die dauernden Bilder von Katastrophen, verärgerten Fahrgästen und die immer selteneren Ruhephasen eines überblickbaren Normalbetriebs machen auch seelisch etwas mit den Kolleg:innen. In den Betrieben müssen die Mitarbeiter:innen vor Überlastung geschützt werden und der Fokus muss verstärkt auf der betrieblichen Gesundheitsförderung liegen. Es braucht Arbeitsbedingungen, die den aktuellen Entwicklungen angepasst sind, um gemeinsam die zukünftigen Herausforderungen zu meistern. Denn Jobs mit Nachtschichten, sowie Sonn- und Feiertagsarbeiten stehen aktuell nicht sehr weit oben in der Beliebtheitsskala von Arbeitnehmer:innen.
Was ist Extremwetter?
Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) definiert Hitze als längere Perioden mit plus 30 Grad Celsius, den Starkregen mit 15 bis 25 Litern pro Quadratmeter in der Stunde und den Sturm als Windgeschwindigkeiten von mindestens 74,9 Kilometern pro Stunden, dies entspricht 9 Beaufort.
Autorenschaft: Frank Jödicke ist freier Journalist und arbeitet als koordinierender Redakteur für die Wirtschaft & Umwelt. ©Lydia Müller
Artikel erscheint bald in der Wirtschaft & Umwelt