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Un­gewis­se Zu­kunft trotz Rekord­zahlen – Was unsere Bah­nen jetzt brau­chen

2023 war ein Rekordjahr für unsere Bahnen: Sie beförderten 328 Millionen Fahrgäste, die dabei insgesamt 14,5 Milliarden Kilometer auf der Schiene zurücklegten – ein Allzeithoch. Doch damit unsere Bahnen zum Rückgrat eines Rechts auf gute und nachhaltige Mobilität werden, braucht es mehr: eine soziale und ökologische Bahnpolitik jenseits marktliberaler Leitbilder. 

Gründe für den Erfolg der Bahnen

Die Gründe für den Höhenflug der Bahnen liegen einerseits in gestiegenen Energie- und Treibstoffpreisen, ausgelöst durch den Angriffskrieg Russlands, andererseits im langfristigen Kurs der österreichischen Bahnpolitik. Nicht zuletzt hat die Verkehrsgewerkschaft vida in der Phase des euphorischen Neoliberalismus (1990er Jahre bis zur Finanzkrise 2008) erfolgreich Widerstand geleistet. So konnten die Liberalisierungsschritte auf das EU-rechtliche Minimum beschränkt werden und das Erfolgsmodell der Direktvergabe beibehalten werden.

Auf dieser Basis setzte Klimaministerin Leonore Gewessler wichtige Impulse in Richtung einer Mobilitätswende: 2021 führte die Bundesregierung das Klimaticket ein, das Pendler:innen mit guter Anbindung an den öffentlichen Verkehr eine günstige Mobilität ermöglicht. Der ÖBB-Rahmenplan 2024-2029 sieht umfangreiche Investitionen von mehr als 21 Milliarden Euro vor, um das Schienennetz weiter zu modernisieren und auszubauen. Darüber hinaus haben die ÖBB unter der Verantwortung von Ministerin Gewessler die Nachtzugverbindungen ausgebaut.

Fehlende wirtschafts- und beschäftigungspolitische Strategie

Da die Bundesregierung ihre klima- und verkehrspolitischen Maßnahmen jedoch nicht mit einer entsprechenden wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Strategie untermauert hat, fehlt es jetzt an ausreichendem Personal und Schienenfahrzeugen. Die Fahrplanausdünnungen im Februar dieses Jahres haben dies deutlich gezeigt. Nur mit enormem Einsatz, Überstunden und viel Stress können die Beschäftigten unsere Bahnen am Laufen halten. Damit droht das Ziel der Bundesregierung, die Kapazitäten auf der Schiene bis 2040 zu verdoppeln, verfehlt zu werden. Bei der Bahn zeigt sich:  Ökologische Ziele bleiben unerreichbar, wenn dabei soziale und wirtschaftspolitische Fragen ausgeblendet werden.

Ein Beispiel dafür ist der 2021 veröffentlichte Mobilitätsmasterplan. Er setzt wichtige verkehrspolitische Ziele fest, hinter die auch die nächste Bundesregierung nicht zurückfallen darf. So soll sich der Modal Split zwischen motorisiertem Individualverkehr und Umweltverbund (aufeinander abgestimmte umweltfreundliche Verkehrsmittel) von derzeit 60 zu 40 Prozent umgekehrt werden. Es fehlt jedoch ein wirtschaftspolitischer Fahrplan, wie diese Ziele erreicht werden können. Die wenigen Maßnahmen, die im Mobilitätsmasterplan genannt werden, bleiben ganz dem marktliberalen Paradigma verhaftet: Grüne Finanzmärkte und eine CO2-Bepreisung sollen es richten. Es fehlt eine sozial- und wirtschaftspolitische Strategie, die den demografischen Wandel und die durch die Mobilitätswende notwendige Ausweitung von Beschäftigung und Schienenfahrzeugen mit aktiver Arbeitsmarkt- und Produktionspolitik bewältigt.

Sieben Weichenstellungen für die Bahn der Zukunft

1. Offensive Beschäftigungspolitik und bessere Arbeitsbedingungen:

Nur mit guten Arbeitsbedingungen, höheren Löhnen und ausreichend vielen Ausbildungsplätzen wird es gelingen, das notwendige Personal für die Mobilitätswende und die Bewältigung des demografischen Wandels zu gewinnen. Dazu bedarf es einer aktiven und mit entsprechenden Mitteln ausgestatteten Arbeitsmarktpolitik. Schichtpläne und Arbeitszeiten müssen zudem eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben ermöglichen. Gleichzeitig muss die tatsächliche Arbeitszeit manipulationssicher durch eine unabhängige Kontrollbehörde überwacht werden.

2. Sicherheit und Komfort durch qualifiziertes und ausreichendes Personal:

Sicherheits- und Ausbildungsstandards dürfen nicht weiter gesenkt werden, sondern müssen im Interesse der Beschäftigten und der Fahrgäste auf höchstem Qualitätsniveau innerhalb der EU harmonisiert werden. Kein Zug darf ohne Zugbegleiter:in geführt werden. Das erhöht die Sicherheit für alle und ermöglicht die Unterstützung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Statt menschenleerer „Geisterbahnhöfe“ braucht es personell gut ausgestattete „Mobilitätsdrehscheiben“ als Umsteigeknoten. Mehr Personal bedeutet mehr Zuverlässigkeit, mehr Komfort und Kommunikation – das macht Bahnfahren noch attraktiver. Die höheren Kosten müssen den Eisenbahnunternehmen nicht zuletzt durch eine Anpassung der Verkehrsdiensteverträge abgegolten werden.

3. Die Mobilitätswende durch eine aktive Industriepolitik regional, sozial und ökologisch produzieren:

Schon heute ist Österreich im Bereich der Bahnindustrie mit 15.000 Beschäftigten gut aufgestellt. Damit auch in Zukunft die für den Ausbau unserer Bahnen notwendigen Produkte – wie Schienenfahrzeuge, Signaltechnik und Schienen – rasch genug, möglichst regional und mit guten Arbeitsbedingungen produziert werden können, braucht es eine aktive und planende Wirtschaftspolitik. Die Bahnindustrie sollte als „wichtiges Vorhaben von gemeinsamem europäischen Interesse“ definiert werden, um dafür öffentliche Fördermittel erhalten zu können. Ausschreibungen müssen verbindliche Kriterien für regionale Wertschöpfung, soziale Arbeitsbedingungen und ökologische Produktionsstandorte beinhalten und Vergabeverfahren rascher durchgeführt werden. Durch entsprechende Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen sowie einen planvollen Umbau der Wirtschaft stellt Österreich sicher, dass trotz der Krise in der Automobilbranche (z. B. bei Opel, Magna, Steyr Automotive) die industriellen Potenziale erhalten bleiben und sogar nachhaltig neu positioniert werden können.

4. Notwendige Investitionen in unsere Bahnen durch einen EU-Transformationsfonds ermöglichen:

Sozial-ökologische Investitionen in den Schienenverkehr müssen von den EU-Fiskalregeln ausgenommen werden. Zudem braucht es ab 2026 einen Nachfolger für den Wiederaufbaufonds, damit zusätzliche europäische Mittel für den Ausbau, den Zusammenschluss, die Wiederinbetriebnahme und die Modernisierung des Schienennetzes zur Verfügung stehen.

5. Von der Straße auf die Schiene mit mehr (Steuer-)Gerechtigkeit:

Während die Unternehmen im Bahnbereich flächendeckend eine Schienenmaut (Infrastrukturbenützungsentgelt) entrichten müssen, gilt die Lkw-Maut derzeit nur für das hochrangige Straßennetz. Dieses umfasst aber nur etwa 2 Prozent des gesamten Straßennetzes. Eine flächendeckende Lkw-Maut, wie sie beispielsweise in der Schweiz existiert, würde daher für mehr Kostentransparenz sorgen und die stillen und klimaschädlichen Subventionen für den Straßengüterverkehr verringern. Das brächte zusätzlich etwa 500 Millionen Euro. Weitere 700 Millionen Euro könnten auf dem höherrangigen Straßennetz durch die volle https://www.awblog.at/Wirtschaft/Lkw-Maut-Bundesregierung-verzichtet-jaehrlich-auf-700-MillionenAusschöpfung des europarechtlichen Spielraums (Wegekosten-RL) bei Mautaufschlägen für CO₂-Emissionen, Luftverschmutzung und Lärmbelastung eingenommen werden. Damit würde der Schwerverkehr auf der Straße einen fairen Beitrag zur Finanzierung der Mobilitätswende leisten. Als Gegenfinanzierung auf EU-Ebene bietet sich beispielsweise eine Kerosinsteuer in der EU oder zumindest in möglichst vielen EU-Ländern an. Kontrollen mit Biss und eine Auftraggeberhaftung müssen der Frächterlobby den Anreiz für Lohn- und Sozialdumping, Verstöße gegen Lenk- und Ruhezeiten und Geschwindigkeitsbegrenzungen nehmen.

6. Mehr Investitionen in den Güterverkehr:

Geradezu verheerend hat sich die Liberalisierung im Bereich des Schienengüterverkehrs ausgewirkt. Sein „Marktanteil“ sollte nach den ursprünglichen Zielen steigen, sinkt aber kontinuierlich. Jahrzehntelang bestand das Geschäftsmodell der Staatsbahnen darin, mit sogenannten Ganzzügen (die „in einem Stück“ von A nach B fahren) genügend Gewinn zu machen, um damit den arbeits- und kostenintensiven Einzelwagenverkehr betreiben zu können. Die Bahnliberalisierung führte zu einem Rosinenpicken: Private Anbieter interessierten sich für die profitablen Ganzzüge, das mühsame „Gröscherlgeschäft“ des Einzelwagenverkehrs blieb den Staatsbahnen, die es wegen seiner Kostenintensität kontinuierlich zurückfuhren. Große Hoffnungen werden in den Einsatz der „Digitalen Automatischen Kupplung“ (DAK) gesetzt. Sie könnte die Güterzugbildung effizienter und  kostengünstiger machen und damit der Billigkonkurrenz durch den Lkw-Verkehr Paroli bieten. Für eine flächendeckende Umrüstung auf die DAK ist eine öffentliche Finanzierung nach Schweizer Vorbild notwendig.

7. Demokratie statt Liberalisierung:

Wir brauchen eine Bahn, die für uns alle da ist und unsere Mobilitätsbedürfnisse erfüllt. Deshalb braucht es mehr Mitbestimmung, wo Strecken ausgebaut werden und in welchem Takt die Züge fahren. Ebenso müssen die Beschäftigten, ihre Interessen und ihr Wissen in den Aus- und Umbau der Bahn einbezogen werden. Deshalb wollen wir als AK die Bahnen auch weiterhin in öffentlichem Eigentum sehen und lehnen weitere Liberalisierungsmaßnahmen der Europäischen Kommission entschieden ab. Die öffentliche Hand muss auch künftig entscheiden können, welches Bahnunternehmen sie mit dem Betrieb von nicht kostendeckenden Bahnverkehren betraut und nicht gezwungen sein, diese auszuschreiben. Dass dies möglich ist, hat die AK mit Rechtsgutachten nachgewiesen.

Richtungsentscheidung für die Zukunft der Bahnen

Wir alle haben ein Recht auf gute, leistbare und nachhaltige Mobilität und unsere Bahnen müssen das Rückgrat dafür sein. Die bevorstehenden Nationalratswahlen und die darauffolgende Regierungsbildung haben großen Einfluss auf die Zukunft unserer Bahnen. Vor gut zwei Jahrzehnten kam es ebenfalls nach Wahlen zur Zersplitterung der ÖBB in zahlreiche Teilunternehmen, es folgten Personalabbau, die Schließung von Regionalbahnen und die Bestellung eines teilweise inkompetenten Managements. Entwicklungen, die sich bis heute negativ auswirken und Österreich als Bahnland geschwächt haben.

Die Richtungsentscheidung bei der Nationalratswahl lautet: Wird der eingeschlagene Weg einer Mobilitätswende sozial- und wirtschaftspolitisch untermauert und vertieft – oder geht es zurück zur gescheiterten Bahnpolitik? Eine neue Regierung hat jedenfalls die Chance unsere Bahnen als Hebel für den notwendigen sozialen und ökologischen Umbau zu nutzen. Eine entsprechend ausgestattete Bahn kann als attraktiver und ökologischer Arbeitgeber Sicherheit in einer sich turbulent verändernden Gesellschaft bieten. Durch eine aktive und planende Wirtschaftspolitik können „fossile“ Industrien rascher geschlossen und die Potentiale verstärkt in die Bahnindustrie gelenkt werden.

Aufbauend auf den Stärken des österreichischen Weges in der Bahnpolitik könnten die Bahnen zum Herzstück eines Rechtes auf gute und nachhaltige Mobilität werden. Ein Recht, das es allen Menschen ermöglicht, ihre Arbeits- und Alltagswege bequem, kostengünstig und frei von Zwang zum eigenen Auto zurückzulegen. Ein Recht, das es ermöglicht, wertvolle Flächen den Menschen und der Natur zurückzugeben. Ein Recht, das Fahrgäste und Verkehrsbeschäftige in den Mittelpunkt stellt und nicht den Profit.

Dieser Blogbeitrag erschien zuerst im A&W Blog

Autorenschaft:

Lukas Oberndorfer, Leiter der Abteilung Klima, Umwelt und Verkehr AK Wien

Heinz Högelsberger, Abteilung Klima, Umwelt und Verkehr AK Wien

Dieser Blogbeitrag ist in einer längeren Fassung in der Zeitschrift „Wirtschaft & Umwelt“ erschienen. Die aktuelle Ausgabe widmet sich dem Schwerpunktthema „Neue Bahnen“.

Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0: Dieser Beitrag ist unter einer Creative-Commons-Lizenz vom Typ Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International zugänglich. Um eine Kopie dieser Lizenz einzusehen, konsultieren Sie http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/. Weitere Informationen https://awblog.at/ueberdiesenblog/open-access-zielsetzung-und-verwendung

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