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EU-Wahlen: Wer setzt sich für unsere Bahnen ein?

EU-Wahlen: Wer setzt sich für unsere Bahnen ein?

Die Wahlen zum EU-Parlament stehen unmittelbar bevor. Das Wichtigste ist natürlich, an der EU-Wahl teilzunehmen! Doch was sagen die Parteien, die sich in Österreich zur Wahl stellen, über die Eisenbahn bzw. damit verbundene Politikbereiche und was sind ihre Pläne?

Das Wichtigste zuerst: Wählen gehen! Dieses demokratische Grundrecht sollten wir alle ausüben. Um die Basis für eine Wahlentscheidung im Sinne unserer Bahnen zu treffen, haben wir uns die Wahlprogramme aller wahlwerbenden Parteien angesehen und verglichen.

EU-Wahl Vergleich: Wer setzt sich für unsere Bahnen ein?

 

Bei den Neos und der neuen Partei DNA („demokratisch, neutral, authentisch“) findet sich kein Wort zu Fragen der Mobilität. Auch bei der FPÖ beschränkt sich der verkehrspolitische Anspruch auf eine „Rücknahme des Verbrennungsmotorverbots“ (welches es da facto nicht gibt, Anm.).

Umfangreicher ist das schon das ÖVP-Wahlprogramm:

  • Ausbau der Straßen für die Autos der Zukunft sowie Förderungen für den „grünen Verbrenner“. Dabei ist klar, dass es auch künftig Technologieoffenheit auf allen Ebenen braucht statt Rückschritt durch Verbote.
    • Rücknahme des Verbrenner-Aus für Neuzulassungen ab 2035.
  • Entschlossener Einsatz auf allen Ebenen, um die Güterverlagerung von der Straße auf die Schiene voranzutreiben und damit die Transitbelastung für die Bevölkerung zu reduzieren.
  • Entlastung der Bevölkerung und Schutz der Umwelt, insbesondere am Brennerkorridor durch eine europäische Lösung:
    • Anhebung der Maut auf Schweizer Niveau, um Umwegverkehr zukünftig zu vermeiden.
  • Vernetzung und Ausbau des „Bahnraums Europa“
    • Ausbau des Hochgeschwindigkeits- und Transportschienennetzes für den Eisenbahnverkehr in Europa
    • Einführung einer europaweiten Buchungsplattform für Bahntickets und Ermöglichung eines einfachen Wechsels der Verkehrsmittel, um unkompliziertes Reisen zu gewährleisten und Europa als Tourismusstandort noch stärker zu positionieren.
    • Fortführung des Ausbaus des transeuropäischen Verkehrsnetzes, insbesondere Projekte wie Koralm, Semmering-Basistunnel und Pyhrn-Schober-Achse.
    • Bei Anbindungen auch die Häfen von Triest und Rijeka berücksichtigen
    • Zusätzliche gemeinsame technische Harmonisierung inklusive einem europäischen eTicket, einem einheitlichen Zulassungsverfahren für Züge und dem grenzüberschreitenden Einsatz von Zugpersonal
  • Transporte aus Drittstaaten an den EU-Außengrenzen auf CO2-arme bzw. -neutrale Verkehrsträger verlagern
    • Abbau von Bürokratie im Schienenverkehr
    • Vereinheitlichung der Stromsysteme der Bahnen
    • Wegfall der vielen wettbewerbsschädigenden Schutzbestimmungen der einzelnen Staatsbahnen

Den kursiven Forderungen stehen wir allerdings recht kritisch gegenüber.

Kurz und knackig die Positionen der SPÖ:

  • Einführung einer Kerosinsteuer auf EU-Ebene
  • Verbot von Privatjets auf europäischen Flughäfen
  • Etablierung eines Schnellzugsystems, das die europäischen Hauptstädte verbindet
  • Alle europäischen Hauptstädte müssen mit Nachtzugverbindungen erreichbar sein.
  • Ehrgeizige und intelligente Investitionen in die europäische Infrastruktur, um die Voraussetzungen für ein modernes und nachhaltiges europäisches Verkehrssystem inkl. eines Europäischen Ticketing-Systems zu schaffen. Um einen gut funktionierenden öffentlichen Verkehr zu gewährleisten, müssen wir nicht nur die Kapazitäten erhöhen, sondern auch die Frequenzen sowie die geografische Abdeckung und Anbindung. Dabei müssen wir sicherstellen, dass die Bezahlbarkeit und Zugänglichkeit, insbesondere für Menschen mit eingeschränkter Mobilität oder Behinderungen, gewährleistet ist.

Die Grünen behandeln das Thema ausführlich:

  • Europa-Tarif: Kurze Flugstrecken bis zu 1.000 Kilometer sind für das Klima besonders schädlich. Bahnfahren wäre die perfekte Alternative. Das Problem: Der Flug ist heute meist billiger als der Zug. Genau das können wir ändern. Wir Grüne wollen für dich einen Preisdeckel für Zugtickets durchsetzen: maximal 10 Cent pro Kilometer. Garantiert für alle Verbindungen in der EU. Von Wien nach Berlin oder Warschau (680 km) kommst du dann für maximal 68 Euro, nach Paris (1.230 km) für maximal 123 Euro. Ohne Ärger über die undurchsichtigen Zusatzgebühren vermeintlicher „Billig“-Airlines. Die Differenz zu den Marktpreisen bekommen die Eisenbahnunternehmen zurückerstattet, damit sie die internationalen Verbindungen weiter ausbauen können. So reist du mit dem Zug klimafreundlicher und auch garantiert günstiger als mit dem Flugzeug. Und weil’s um unser Klima geht, soll mit Flügen von Privatjets quer durch Europa auch Schluss sein. Im Jahr 2022 hat allein der Privat-Jetset von einigen wenigen Superreichen in Europa so viel Emissionen verursacht wie 555.000 Menschen.
  • Mehr Komfort für Dich, mehr Jobs für Europa: Wir werden in Zukunft deutlich mehr Züge brauchen. Und die sollen am modernsten Stand der Technik sein, um das Reisen für dich sicher und bequem zu machen. Wenn wir diese Züge in Europa bauen und warten, bringt das auch die Wirtschaft in Schwung und schafft viele neue Jobs.
  • Europa auf Schiene bringen: Gerade im Bahnverkehr gibt es in Europa noch viel Luft nach oben. Und das wollen wir gemeinsam anpacken. Das bedeutet: Ein dichtes Schienennetz, mehr internationale Strecken, zuverlässige Verbindungen, kürzere Fahrzeiten und moderne Züge. Über Jahre wurden die Nachtzüge immer weniger, bis Österreich für eine Trendwende gesorgt hat. Mit vereinten Kräften wollen wir Europas Städte auch in der Nacht wieder besser und bequemer verbinden. Im Herzen Europas wird der Wiener Hauptbahnhof zum Dreh- und Angelpunkt für Nachtzugverbindungen in den ganzen Kontinent.
  • Zug statt Flug: Der Zug soll die bessere und einfachere Alternative zum Flugzeug werden. Heute ist das viel zu selten der Fall. Gerade bei den Kurz- und Mittelstrecken, auf denen Flüge besonders klimaschädlich sind. Sehr oft sind das Zubringer zu Langstreckenflügen von den großen internationalen Flughäfen wie Frankfurt, Paris, Wien oder Amsterdam. Deshalb brauchen wir auf kurzen internationalen Strecken ein besseres Zugangebot mit garantierten Höchstpreisen, die billiger als ein Flug sind. Von Hauptstadt zu Hauptstadt sollst du maximal 10 Cent pro Kilometer zahlen müssen. Airlines sollen günstige Zubringer-Züge verpflichtend bei der Buchung anbieten. Und du sollst dein Gepäck schon bequem am Abfahrtsbahnhof einchecken können.
  • Einfach Buchen statt Suchen und Fluchen: Eine Bahnreise quer durch Europa zu buchen, ist heute noch viel zu kompliziert und oft nur mit einer mühsamen Suche auf mehreren Websites der einzelnen internationalen Bahnanbieter möglich. Das wollen wir ändern: Du sollst Zugtickets für ganz Europa genauso einfach buchen können wie ein Flugticket. Mit wenigen Klicks auf einer Website oder über eine Buchungsplattform. Dafür wollen wir die Ticket-Systeme der europäischen Bahnen verbinden und endlich ins 21. Jahrhundert bringen.
  • Günstige Öffis, mit denen Du überall hinkommst: Der Erfolg des KlimaTickets in Österreich zeigt: Wenn bequeme und klimafreundliche Öffis von allen und überall günstig genutzt werden können, steigen die Menschen gerne und öfter vom Auto um. Deshalb treiben wir den Öffi-Ausbau im eigenen Land stärker voran als je zuvor. Und das wollen wir auch über alle Grenzen hinweg für ganz Europa. Denn das ist die bessere und umweltfreundlichere Alternative, die das Zubetonieren unserer wertvollen Natur für immer mehr Straßen und veraltete Autobahnprojekte ersetzen kann.
  • Gesunde Mobilität ohne Grenzen: Wer mit dem Rad unterwegs ist, tut dem Klima und der eigenen Gesundheit etwas Gutes. Wir wollen einerseits dafür sorgen, dass du überall auf sicheren Radwegen vorankommst und andererseits Europa mit gut ausgebauten Radrouten über die Ländergrenzen hinweg verbinden.
  • Grün mobil statt fossil: Die Zukunft gehört den erneuerbaren Energien – auch im Verkehr! Fossile Energieträger wie Benzin und Diesel sind nicht nur schmutzig, sondern auch begrenzt und werden deshalb immer teurer. Wir haben dieser veralteten Technologie in Europa ein Ablaufdatum gegeben. So kommen in Zukunft nur noch neue, klimafreundliche Fahrzeuge auf die Straße. Die besseren Alternativen gibt es schon heute. Wir stellen sicher, dass auch die notwendige E-Ladeinfrastruktur in ganz Europa bereitsteht.
  • Grüner Güterverkehr: Ein großer Teil der Luftverschmutzung entsteht heute im Güterverkehr. Den wollen wir in ganz Europa verstärkt von der Straße auf die Schiene bringen. Dort wo notwendig sollen saubere E-LKWs zum Einsatz kommen. Für sie müssen wir die geeigneten Ladestationen in ganz Europa bereitstellen. Und wo es keine bessere Alternative gibt, kann grüner Wasserstoff die fossilen Brennstoffe ersetzen.
  • LKW-Transit eindämmen: Es kann nicht sein, dass Anrainer:innen und Umwelt die Kosten für Transitverkehr auf der Straße tragen. Wir setzen uns für eine EU-Verlagerungsgarantie auf den wichtigsten Transitstrecken ein: Güter, die auf der Schiene transportiert werden können, müssen auch zwingend dorthin verlagert werden, etwa im Brennerbasistunnel. Bis es zu europaweiten Regelungen kommt, unterstützen wir Grüne regionale Maßnahmen wie Dosierungen von LKWs, Fahrverbote für bestimmte Güter, Fahrverbote zu bestimmten Zeiten, Absenkung von Lärm- und Luftgrenzwerten oder andere Möglichkeiten, um den LKW-Transitverkehr einzudämmen.
  • Gerechtigkeit auch in der Luft: Die Luftfahrt belastet nicht nur unser Klima, sie vergrößert auch soziale Schieflagen. Wir Grüne wollen mehr Gerechtigkeit, auch in Europas Luftfahrt. Wer den größten Schaden anrichtet, soll dafür auch selbst zahlen – anstatt wie jetzt auf Kosten der Allgemeinheit auf großem Fuß zu leben. Das heißt z.B.: Vielfliegerabgaben für Konzerne, die ihre Manager:innen zu kurzen Meetings quer durch Europa fliegen. Einschränkungen für völlig ineffiziente Flüge mit Privatjets, die unnötig unsere Luft verschmutzen. Schluss mit unfairen Steuervorteilen für Kerosin, die Flugpreise verzerren. Her mit fairen Sozialstandards für alle Menschen, die in der Luftfahrt arbeiten.
    Zum Abschluss die beiden verkehrspolitischen Forderungen der KPÖ:
  • Öffentlichen Verkehr verteidigen und ausbauen: Die EU-Kommission will, dass Bahnlinien zukünftig nicht mehr direkt an öffentliche Bahnunternehmen vergeben werden können, sondern frei ausgeschrieben werden sollen. Dieser Liberalisierungswahn gefährdet unsere Bahnen. Die Direktvergabe muss möglich bleiben. Statt Konkurrenz zwischen Bahnen, muss die Bahn gegenüber dem klimaschädlichen Flugverkehr gestärkt werden. Ein erster Schritt dorthin ist ein europaweites Buchungssystem für Züge und die Förderung des Ausbaus zentraler Bahnkorridore.
  • Privatjets verbieten: Anstatt darauf zu setzen, dass jene, mit dem wenigsten Geld als erstes und am meisten verzichten müssen, gilt es bei denen anzusetzen, die die meisten Emissionen verursachen. Ein erster Schritt dorthin ist ein Verbot von Privatjets, mit denen die Reichsten vollkommen unnötig und übermäßig unser Klima zerstören. Begründete Ausnahmen, etwa für den Transport von Transplantationsorganen, sind selbstverständlich weiter möglich.

Zum Abschluss die beiden verkehrspolitischen Forderungen der KPÖ:

  • Öffentlichen Verkehr verteidigen und ausbauen: Die EU-Kommission will, dass Bahnlinien zukünftig nicht mehr direkt an öffentliche Bahnunternehmen vergeben werden können, sondern frei ausgeschrieben werden sollen. Dieser Liberalisierungswahn gefährdet unsere Bahnen. Die Direktvergabe muss möglich bleiben. Statt Konkurrenz zwischen Bahnen, muss die Bahn gegenüber dem klimaschädlichen Flugverkehr gestärkt werden. Ein erster Schritt dorthin ist ein europaweites Buchungssystem für Züge und die Förderung des Ausbaus zentraler Bahnkorridore.
  • Privatjets verbieten: Anstatt darauf zu setzen, dass jene, mit dem wenigsten Geld als erstes und am meisten verzichten müssen, gilt es bei denen anzusetzen, die die meisten Emissionen verursachen. Ein erster Schritt dorthin ist ein Verbot von Privatjets, mit denen die Reichsten vollkommen unnötig und übermäßig unser Klima zerstören. Begründete Ausnahmen, etwa für den Transport von Transplantationsorganen, sind selbstverständlich weiter möglich.
Europa verbinden – warum die Mobilitäts­wende eine neue Bahn- und Wirtschafts­politik braucht

Europa verbinden – warum die Mobilitäts­wende eine neue Bahn- und Wirtschafts­politik braucht

Dieser Beitrag erschien zuerst am A&W-Blog.
Von: Lukas Oberndorfer

Die Europäische Union hat sich zu Recht ehrgeizige Ziele in der Klima- und Verkehrspolitik gesetzt. Um diese zu erreichen, muss sie sich von ihrem marktliberalen Paradigma verabschieden und eine sozial-ökologisch planende Wirtschaftspolitik umsetzen. Nur mit einer aktiven Industrie-, Beschäftigungs- und Investitionspolitik kann die Mobilitätswende gelingen.

Ehrgeizige Ziele der EU

Die gute Nachricht zuerst: Die Europäische Union hat sich zu Recht ehrgeizige Ziele in der Klima- und Verkehrspolitik gesetzt: Bis 2050 strebt sie bekanntlich Klimaneutralität an. Als Zwischenziele will sie die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent und wie jüngst angekündigt bis 2040 um 90 Prozent gegenüber 1990 senken.

Da der Verkehr für ein Viertel aller Treibhausgase in der EU verantwortlich ist, verfolgt die Union folgerichtig auch ehrgeizige Ziele für die Eisenbahn, die das energieeffizienteste und klimafreundlichste Verkehrsmittel ist: Der Hochgeschwindigkeitsbahnverkehr soll bis 2030 verdoppelt und bis 2050 verdreifacht werden, um auf Kurz- und Mittelstrecken eine Alternative zum Flugverkehr zu bieten. Außerdem will die Union den Schienengüterverkehr bis 2030 um 50 Prozent steigern und bis 2050 verdoppeln.

Kein Plan zur Umsetzung

Aber – und das ist die schlechte Nachricht – die Union hat keinen langfristigen und realistischen Plan, wie sie diese Ziele erreichen kann. Zu diesem Schluss kommt kein Geringerer als der Europäische Rechnungshof in einem Sonderbericht über das europäische Fernverkehrsnetz.

Diese Planlosigkeit liegt allerdings nicht am mangelnden Ehrgeiz der zuständigen Generaldirektion Mobilität und Verkehr. Schließlich hat sie sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten als umtriebige Akteurin der Liberalisierung des Verkehrssektors positioniert. Vielmehr steht das Fehlen einer aktiven wirtschaftspolitischen Strategie zur Erreichung der klima- und verkehrspolitischen Ziele im Einklang mit dem marktliberalen Paradigma, dem die Generaldirektion nach wie vor verhaftet zu sein scheint: Demnach besteht die Aufgabe der Politik darin, Ziele zu setzen und einen Ordnungsrahmen für die Liberalisierung vorzugeben. Den operativen „Rest“ erledigt dann gleichsam magisch die viel beschworene unsichtbare Hand des Marktes.

Spätestens in Zeiten einer sich dramatisch zuspitzenden Klimakrise, die schon jetzt unabhängig von der künftigen Politik bis 2050 zu einem Einkommensrückgang von rund 20 Prozent führen wird, wird jedoch immer deutlicher, dass die gesetzten Ziele nur mithilfe einer neuen aktiven Wirtschaftspolitik, die stärker auf Planung setzt, erreicht werden können.

Notwendige Investitionen

Dies wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, wie groß die Herausforderungen allein im Bereich der europäischen Eisenbahnen sind: So kommt eine kürzlich veröffentlichte Studie zu dem Ergebnis, dass das Ziel einer Verdreifachung des Hochgeschwindigkeitsbahnverkehrs Investitionen in die Infrastruktur von rund 550 Milliarden Euro braucht. Darüber hinaus hat die Kommission selbst errechnet, dass in der EU jährlich 46 Milliarden Euro in Schienenfahrzeuge investiert werden müssen. Und die Einführung des Europäischen Eisenbahnverkehrsleitsystems (ERMTS), das mehr Sicherheit und eine höhere Netzkapazität ermöglicht, erfordert bis 2050 Investitionen in Höhe von 190 Milliarden Euro.

Mit welchem Plan begegnet nun die Kommission diesen gewaltigen Herausforderungen? Zum einen mit viel zu geringen Investitionen: Die Connecting Europe Facility stellt jährlich rund 5 Milliarden Euro für alle transeuropäischen Netze (also auch Straßen) zur Verfügung, der Aufbaufonds insgesamt 55 Mrd. Euro für Eisenbahnprojekte – allerdings läuft dieser 2026 aus.

Liberalisierung gescheitert

Auf der anderen Seite setzt die EU-Kommission auf die weitere Liberalisierung des Schienenverkehrs, um ihre klima- und verkehrspolitischen Ziele zu erreichen. Zu Beginn der Liberalisierung hatte die Kommission noch argumentiert, man müsse abwarten, wie sich ihre Ausnahmen auswirken. Sie hatte auch für sich reklamiert, dass es angebracht sei zu beobachten, welche Effekte ihre Maßnahmen zeitigen. Nach mehr als 30 Jahren ist es jedoch an der Zeit, Bilanz zu ziehen. Denn schon in der Richtlinie zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen von 1991, mit der die Liberalisierung eingeleitet wurde, hatte sich die Union zum Ziel gesetzt, den Anteil der Schiene am Verkehrsmarkt zu erhöhen. Doch der Anteil der Schiene ist im Güterverkehr im Vergleich zu 1995 von 15,6 Prozent auf 11,9 Prozent (2021) massiv gesunken und verharrt im Personenverkehr auf niedrigem Niveau. Die Arbeitsbedingungen, die bei ansonsten mehr oder weniger fixen Kosten für Energie und Schienenfahrzeuge die einzige zentrale Stellschraube für den Preiswettbewerb darstellen, haben sich seither aber massiv verschlechtert. Sie sind der Hauptgrund dafür, dass der gesamte Eisenbahnsektor derzeit unter einem ausgeprägten Arbeitskräftemangel leidet.

Weit entfernt von einer evidenzbasierten Politik reagiert die Generaldirektion Mobilität und Verkehr auf diese Bilanz. Nachdem das Eisenbahnsystem die Medizin der Liberalisierung nicht vertragen hat, erhöht sie nun die Dosis: Bereits 2016 wollte sie die verpflichtende wettbewerbliche Vergabe des gemeinwirtschaftlichen (d. h. nicht kostendeckenden) Schienenpersonenverkehrs durchsetzen. Damit scheiterte sie jedoch am Europäischen Parlament, das in der zugrundeliegenden PSO-Verordnung festhielt, dass das bisherige System der Direktvergabe unter Einhaltung bestimmter Kriterien weiterhin zulässig ist.

2023 veröffentlichte die Kommission nun Auslegungsleitlinien zur PSO-Verordnung, mit denen sie – quasi durch die exekutive Hintertür – doch noch ihr Ziel zu erreichen versucht. Sie will damit die Anwendung der Direktvergabe – entgegen dem Wortlaut der Verordnung des europäischen Gesetzgebers – nur noch in Ausnahmefällen zulassen. Zwei Professoren für Europarecht und öffentliches Recht kommen in einem dazu erstellten Gutachten zum Schluss, dass dies rechtswidrig und rechtsstaatlich bedenklich ist. Einmal mehr zeigt sich ein Muster: In der Krise des Marktliberalismus wird zunehmend mit exekutiven und undemokratischen Mitteln versucht, diesen zu vertiefen.

Tim Engartner, Professor für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Köln, der derzeit im Auftrag der Arbeiterkammer und der Gewerkschaft vida die Folgen der Liberalisierung in verschiedenen europäischen Ländern untersucht, sieht hingegen die Zukunft in einem öffentlichen Bahnsystem. Statt die Liberalisierung weiter voranzutreiben, müsse die EU-Kommission ihren Fokus auf staatliche Investitionen in die Bahninfrastruktur lenken.

Den positiven Zusammenhang zwischen öffentlichen Investitionen in das Eisenbahnsystem einerseits und mehr Verkehr auf der Schiene andererseits belegt er unter anderem mit einem Blick in die Schweiz. Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) beweisen täglich, wie ein staatlich organisiertes Bahnsystem hocheffizient, nahezu flächendeckend und mit breiter Akzeptanz in der Bevölkerung betrieben werden kann. Während in vielen EU-Staaten unter Druck der Liberalisierung und Kürzungspolitik immer mehr Strecken stillgelegt wurden und werden, beherzigt die Geschäftsführung der SBB mit dem Ausbau des Regional- und Nahverkehrs ein ehernes Gesetz der Verkehrswissenschaft: Angebot schafft Nachfrage.

Sozial-ökologische Planung für eine Mobilitätswende, die Europa verbindet

All dies zeigt, dass die Probleme der Zukunft nicht mit den überholten Mitteln der Vergangenheit gelöst werden können. Wenn die klima- und verkehrspolitischen Ziele der Union tatsächlich erreicht werden sollen, darf Verkehrspolitik nicht länger als Wettbewerbspolitik missverstanden werden. Notwendig ist eine aktive und planende Wirtschaftspolitik, die im Bereich der Eisenbahnpolitik aus mindestens drei Säulen besteht:

  1. Öffentliche Finanzierung der Mobilitätswende: Das europäische Eisenbahnsystem benötigt – wie oben dargestellt – rasch umfassende Investitionen, um die Mobilitätswende einzuleiten. Dazu braucht es einen Ausbau des Regionalverkehrs und des grenzüberschreitenden Fernverkehrs, um Pendler:innen und Reisenden Freiheit von Auto und Flugzeug zu ermöglichen.
    Sozial-ökologische Investitionen in den Schienenverkehr müssen daher von den EU-Fiskalregeln ausgenommen werden. Zudem braucht es ab 2026 einen Nachfolger für den Aufbaufonds, damit zusätzliche europäische Mittel für den Ausbau, die Vernetzung und die Modernisierung des Schienennetzes als genuin europäische Infrastruktur zur Verfügung stehen. Als Gegenfinanzierung bietet sich u. a. eine Kerosinsteuer in der EU oder zumindest in möglichst vielen EU-Ländern an.
  2. Aktive Industriepolitik zur Stärkung der europäischen Eisenbahnindustrie:
    Die europäische Bahnindustrie und ihre technologische Vorreiterrolle werden durch mehr als 659.000 Beschäftigte ermöglicht. Wenn die Produkte der Mobilitätswende – u. a. Schienenfahrzeuge, Schienen und E-Busse – schnell genug und auch in Zukunft möglichst regional und mit guten Arbeitsbedingungen hergestellt werden sollen, braucht es eine aktive und planende EU-Industriepolitik.
    Leider passiert auf EU-Ebene derzeit genau das Gegenteil: Im EU-Industrieplan für den Green Deal 2023 werden weder der Schienenverkehr noch die Bahnindustrie erwähnt, obwohl es sein ausdrückliches Ziel ist, „Netto-null-Technologien und -Produkte zu fördern, die zur Erreichung der ehrgeizigen Klimaziele Europas erforderlich sind“. Auch ist die Bahnindustrie bisher nicht als „wichtiges Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse“ definiert und darf daher weiterhin grundsätzlich keine öffentlichen Beihilfen erhalten. Es ist sachlich nicht zu rechtfertigen, dass mit der Begründung, klimapolitische Ziele erreichen zu wollen, z. B. die Batteriezellenproduktion und der Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur als wichtige Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse gefördert werden, während die Herstellung moderner Bahnprodukte außen vor bleibt.
  3. Offensive Beschäftigungspolitik und Verbesserung der Arbeitsbedingungen:
    Weil die Liberalisierung auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wurde, leidet der europäische Eisenbahnsektor bereits heute unter einem massiven Arbeitskräftemangel. Nur mit guten Arbeitsbedingungen und höheren Löhnen wird es gelingen, das Personal für die notwendige Mobilitätswende zu gewinnen. Daher muss das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ auch im Eisenbahnsektor europarechtlich verankert werden. Arbeits-, Lenk- und Ruhezeiten müssen digital aufgezeichnet werden, um deren Umgehung durch die Eisenbahnunternehmen zurückzudrängen. Sicherheits- und Ausbildungsstandards dürfen nicht nach unten nivelliert werden, sondern müssen im Interesse der Beschäftigten und Fahrgäste auf höchstem Qualitätsniveau harmonisiert werden.
    Teil dessen muss sein, dass kein Zug ohne Zugbegleiter:in geführt wird und Züge mit vielen Fahrgästen von mindestens zwei Zugbegleiter:innen betreut werden. Dies erhöht die Sicherheit aller – vor allem in Notfällen –, entlastet die Triebfahrzeugführer:innen bei der Abwicklung der Notfallkette und ermöglicht die Unterstützung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen (insbesondere Ältere und Menschen mit Behinderung). Statt menschenleerer „Geisterbahnhöfe“ braucht es personell gut ausgestattete „Mobility Hubs“ als Umsteigedrehscheiben. Mehr Personal bedeutet mehr Sicherheit, mehr Komfort und gute Kommunikation – das macht Bahnfahren für viele attraktiver.

Um den für die Mobilitätswende notwendigen Personalaufbau realisieren zu können, benötigen die Eisenbahnunternehmen eine entsprechende Finanzierung. Darüber hinaus sind verstärkte Investitionen in Ausbildungsplätze und Weiterbildung notwendig.

Die Bahnen waren im 19. Jahrhundert Schrittmacher des Fortschritts, fristeten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts jedoch ein eher kümmerliches Dasein. Mit einer neuen sozial-ökologischen Wirtschaftspolitik auf europäischer und nationaler Ebene könnten „Unsere Bahnen“ jetzt zum Rückgrat einer Mobilitätswende werden, die für alle erschwinglich und zugänglich ist.

Lukas Oberndorfer ist Leiter der Abteilung Umwelt und Verkehr der AK Wien.

Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0: Dieser Beitrag ist unter einer Creative-Commons-Lizenz vom Typ Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International zugänglich. Um eine Kopie dieser Lizenz einzusehen, konsultieren Sie http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/
EU-Eisenbahnliberalisierung: Neue Studie zeigt Verwerfungen durch Wettbewerb

EU-Eisenbahnliberalisierung: Neue Studie zeigt Verwerfungen durch Wettbewerb

Gewerkschaft vida fordert ein Eindämmen des Wettbewerbsdrucks auf Arbeitnehmer:innen 

Wien, 24. 5. 2024 – Die Initiative “Unsere Bahnen” und die Gewerkschaft vida laden heute zur Präsentation des Summary Papers einer neuen Studie der Universität Köln zu zwanzig Jahren Eisenbahnliberalisierung in der EU mit anschließender Podiumsdiskussion. Teilnehmende sind neben Studienleiter Tim Engartner auch Gerhard Tauchner, der Vorsitzende des Fachbereichs Eisenbahn in der Gewerkschaft vida sowie Andreas Schieder, SPÖ-Europaabgeordneter und Mitglied im Verkehrsausschuss im EU-Parlament, die schon im Vorfeld entschiedene Kritik an der Liberalisierungspolitik der Europäischen Union übten.

Studienleiter Tim Engartner, Professor für Sozialwissenschaften an der Universität zu Köln, kommt in der Studie zum Schluss: „Liberalisierungen, Privatisierungen und Deregulierungen in anderen Sektoren der öffentlichen Daseinsvorsorge lassen erkennen, dass die vermeintlich belebende Kraft des Wettbewerbs tatsächlich eher Verwerfungen auslöst. Das von der EU-Kommission verfolgte Ziel, wonach Eisenbahnverkehrsunternehmen markt- und gewinnorientiert im Wettbewerb agieren sollen, verkennt die zahlreichen anerkannten Besonderheiten des Schienenverkehrssystems wie etwa Trassenvergabe oder integraler Taktfahrplan. Ohne ein technisch funktionierendes, preislich attraktives und flächendeckendes Bahnsystem lässt sich die Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene als eine der zentralen Weichenstellungen für den European Green Deal nicht umsetzen. Misslingt uns die Verkehrswende, werden der stetig wachsende Autoverkehr, der nicht nachlassende Flugverkehr und die globalisierte Container-Schifffahrt der Klimaerwärmung auch weiterhin den Weg bereiten und uns den ökologischen Untergang bescheren.”

„War die Leistungserbringung durch den Staat einst konstitutiv für diesen, ist auch im Bahnsektor seit einem Vierteljahrhundert eine deutlich verstärkte Inanspruchnahme Privater für die Erfüllung vormals öffentlicher Dienstleistungen zu beobachten. Die mit der PSO-Verordnung 2016/2338 implementierte Ausweitung bzw. Stärkung der Marktkräfte hat zur Folge, dass die umwelt-, wirtschafts- und sozialpoli­tischen Instrumentarien einer nachhaltigen Bahnpolitik ausgehöhlt werden“, kritisiert Engartner die EU-Bahnliberalisierungspolitik.

vida-Gewerkschafter Gerhard Tauchner sagt über die Ergebnisse der Studie und die Entwicklung der letzten Jahrzehnte: „In meiner langjährigen Funktion als Gewerkschafter und Betriebsrat für Eisenbahner:innen hat die Liberalisierung im Bahnsektor nicht für mehr und bessere Jobs gesorgt, sondern für enormen Druck auf die Ar­beit­nehmer­:innen. Insbesondere die langen Arbeitszeiten im Schichtdienst ohne behördliche Kontrollmöglichkeiten befeuern Lohn- und Sozialdumping im interoperablen Schienenverkehr. Deshalb fordern wir etwa einheitliche europäische Ausbildungs- und Sicherheitsstandards aber auch eine digitale Aufzeichnung der Arbeitszeit für Lokführer:innen, wie das bei den LKW-Lenker:innen längst selbstverständlich ist.“

Andreas Schieder, SPÖ-Europaabgeordneter und Mitglied im Verkehrsausschuss im EU-Parlament zeigte sich schon im Vorfeld kritisch gegenüber der EU-Kommission: „Dem Schienenverkehr gehört die Zukunft! Denn ein gut ausgebauter öffentlicher Bahnverkehr kann einen enormen Beitrag für die Mobilität aller Menschen, gegen den Klimawandel und für die moderne Industrialisierung Europas leisten. Dazu müssen auf EU-Ebene die politischen Rahmenbedingungen gestellt werden. Wir wollen Schluss machen mit der steuerlichen Bevorteilung des Straßen- und Luftverkehrs und in großem Ausmaß in die Schieneninfrastruktur investieren. Gegen Liberalisierung und Ausschreibungszwang werden wir ein deutliches Stopp-Schild aufstellen, denn das wäre schlecht für Reisende und Beschäftigte“, blickt Schieder dennoch optimistisch in die Bahn-Zukunft.

Details zur Studie: Summary Paper Tim Engartner

Rückfragehinweis: 
Unsere Bahnen
E-Mail: presse@unsere-bahnen.at

Nachtzüge in Europa: Eine Renaissance mit vielen Hürden

Nachtzüge in Europa: Eine Renaissance mit vielen Hürden

Nachtzüge sind die ökologische Alternative zu Kurz- und Mittelstreckenflügen. Trotzdem war diese Art des Reisens jahrelang im Niedergang. Jetzt wird das Nachtzugangebot in Europa schrittweise wieder erweitert. Es könnte allerdings viel schneller gehen, wären da nicht einige Hürden.

Kaum eine Art zu reisen ist so ökologisch wie der Nachtzug. Flugzeuge stoßen zwischen zehn- und dreißigmal mehr Treibhausgas-Emissionen aus als Nachtzüge – das trifft auch abhängig von der Herkunft des Bahnstroms zu. Trotzdem wurde das Angebot in den letzten Jahrzehnten massiv ausgedünnt. Laut EU-Kommission ist seit 2001 die Anzahl der Nachtzugverbindungen auf ein Drittel des damaligen Angebots geschrumpft.

Seit einiger Zeit ändert sich das aber wieder, das Angebot wird laufend ausgebaut. Hier ist Österreich tatsächlich Vorreiter: Die ÖBB betreiben gut zwei Dutzend Verbindungen, die jährlich von 1,5 Millionen Fahrgästen genutzt werden.

Seit dem Fahrplanwechsel im Dezember 2023 geht es jetzt auch im Nightjet von Berlin nach Paris und Brüssel – zuerst dreimal wöchentlich, ab Oktober 2024 täglich. Ab dann gibt es auch eine tägliche Verbindung von Wien nach Paris und Brüssel. Die ÖBB investieren rund 800 Millionen Euro in neue Züge. Die ersten fabrikneuen Nachtzuggarnituren werden auf der Strecke von Wien und Innsbruck nach Hamburg eingesetzt.

Bedeutet das alles, dass jetzt eine Renaissance der Nachtzüge einsetzt? Die Nachfrage wäre durchaus vorhanden, doch der Betrieb von Nachtzügen muss sich auch wirtschaftlich rechnen. Dem stehen derzeit leider noch einige Hindernisse im Weg.

Langsame Amortisation: Während ein Sitz in einem Flugzeug oder Fernzug vier- bis fünfmal pro Tag verkauft werden kann, kann der Platz in einem Nachtzug jeweils nur von einem Fahrgast genutzt werden. Das verlängert die Amortisationsdauer.
Mehr Personal an Bord: Der Betrieb von Nachtzügen ist sehr serviceintensiv. Man benötigt mehr Personal als in Tageszügen. Außerdem werden bei der Entlohnung Nachtzuschläge fällig.
Höhere Kosten für Schienenmaut und Energie: Da Nachtzüge über sehr lange Distanzen unterwegs sind, fallen entsprechend hohe Kosten an Schienenbenützungsgebühr und für den Fahrstrom an.

Um dem Nachtzug endgültig zum Durchbruch zu verhelfen, schlagen die ÖBB vier konkrete Maßnahmen vor:

  1. Senkung der Schienenmaut für Nachtzüge: Das Schienenbenützungsentgelt macht rund zehn bis 20 Prozent der Gesamtkosten aus. Diese Gebühr ist eine wichtige Stellschraube, denn andere Kostenfaktoren (Personal, Rollmaterial, Energie) können nicht gesenkt werden und Fahrpreise sollen nicht erhöht werden. Belgien ist hier vorbildlich. Seit 1. Juli 2023 werden die Kosten für Schienennutzung und Fahrstrom vom Staat rückerstattet.
  2. Unterstützung durch öffentliche Zuschüsse: Neue Zugverbindungen benötigen – speziell in der Anfangsphase – Unterstützung durch öffentliche Gelder. Die sogenannte PSO-Verordnung lässt dies ausdrücklich zu. Leider nutzen nur wenige EU-Staaten (z.B. Österreich) diese Möglichkeit, um Nachtzüge wirtschaftlich lebensfähig zu erhalten.
  3. Fairer Wettbewerbsbedingungen: Der Flugverkehr wird mit zahlreichen Steuerbefreiungen gefördert: Weder für Kerosin noch für internationale Tickets fallen Steuern an. Den EU-Staaten entgingen dadurch allein im Jahr 2022 rund 34 Milliarden Euro an Einnahmen. Während die Bahn für jeden Kilometer Schienenbenutzungsentgelt zahlt (siehe Ausnahme in Belgien), sind Fernbusse auf vielen Straßen von der Maut befreit. All diese systematischen Benachteiligungen der Eisenbahn müssen aufhören!
  4. Maßnahmen gegen Verspätungen: Instandsetzungsarbeiten an Schienen und Streckensperren erfolgen häufig in der Nacht. Davon sind Nachtzüge besonders betroffen, die dann auf Umleitungsstecken und mit großen Verspätungen unterwegs sind. Auch bei Kapazitätsengpässen werden Nachtzüge oft benachteiligt. Hier bedarf es eines professionellen Managements, um weiterhin eine hohe Servicequalität sicherstellen zu können.

Den Nachtzügen sollte die Zukunft gehören. Dazu müssen aber die Rahmenbedingungen stimmen.

Der Irrglaube an den Wettbewerb: Warum Netz und Betrieb nicht getrennt werden dürfen

Der Irrglaube an den Wettbewerb: Warum Netz und Betrieb nicht getrennt werden dürfen

Liberalisierung des Bahnsektors bedeutet auch ein Modell, in dem Leistungen wie der Erhalt des Schienennetzes und der Betrieb der Bahnverbindungen selbst getrennt werden. Diese Trennung führt allerdings in die wirtschaftliche und verkehrsplanerische Irre, schreibt Tim Engartner, Professor für Sozialwissenschaften an der Universität zu Köln.

Fehlende Waggons, ausgedünnte Fahrpläne und verwahrloste Bahnhöfe stoßen Reisenden der Deutschen Bahn (DB) AG ebenso auf wie unpünktliche Züge. Jeder zweite Fernverkehrszug war im November 2023 verspätet. So unpünktlich waren die IC- und ICE-Züge des bundeseigenen Konzerns seit acht Jahren nicht mehr, und das, obwohl ausfallende Verbindungen durch die Pünktlichkeitsstatistik gar nicht erst erfasst werden. Geschuldet sind die Verspätungen laut Aussage des DB-Vorstands insbesondere dem „kurzfristigen Baugeschehen“. Rund 75 Prozent der Fernverkehrszüge seien durch mindestens eine Baustelle ausgebremst worden.

Immerhin hat sich die amtierende Bundesregierung darauf geeinigt, mehr Geld in die maroden Schienenwege zu investieren. Diese Mittel sollen der Erreichung ambitionierter Ziele dienen, heißt es doch im Koalitionsvertrag der „Ampel“-Regierung: „Wir werden den Masterplan Schienenverkehr weiterentwickeln und zügiger umsetzen, den Schienengüterverkehr bis 2030 auf 25 Prozent steigern und die Verkehrsleistung im Personenverkehr verdoppeln.“ 

Derzeit aber hinkt Deutschland bei den Pro-Kopf-Investitionen in die Schieneninfrastruktur auch im europäischen Vergleich weit hinterher. Lediglich 114,- Euro pro Kopf, und damit weniger als im Vorjahr, hat der Bund im vergangenen Jahr für seine Schieneninfrastruktur ausgegeben, während die Investitionssummen in den meisten anderen Ländern gestiegen sind. Dabei sind sich – von einer unrühmlichen parlamentarischen Vertretung abgesehen – alle im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien einig, dass die Verkehrswende nur mit einer Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene gelingen kann.

Schmerzliche Trennung

Tiefgreifende politische Maßnahmen lassen jedoch auf sich warten, zumal die Hoffnung auf substanzielle Verbesserung durch die auch von europäischer Ebene angestoßene Debatte über die Trennung von Netz und Betrieb getrübt wird, die auf die neoliberale Wettbewerbsorientierung vertraut. Spätestens seit dem im Sommer 2021 veröffentlichten Positionspapier, in dem u. a. der Fahrgastverband PRO BAHN, die Lokführergewerkschaft GDL und die Verbraucherzentrale Bundesverband für eine Aufspaltung der DB AG in zwei unabhängige Unternehmen plädieren, wird das Thema wieder intensiv diskutiert. Dass sich die Monopolkommission als „Hüterin“ des Wettbewerbs dieser Position im Glauben an dessen belebende Kraft angeschlossen hat, verwundert nicht.

Dabei sind die Argumente für eine Beibehaltung des integrierten Konzerns ebenso vielschichtig wie überzeugend. Aktuell verweisen sowohl das Aktionsbündnis Bahn für Alle als auch die Eisenbahnergewerkschaft EVG auf die widerstreitenden Interessen eines „reinen“ Netzbetreibers und „reinen“ Verkehrsunternehmens. Neben der Fragmentierung des komplexen Schienenverkehrssystems werden weitere entscheidende Gründe übersehen, die gegen eine Gewinn- oder gar Kapitalmarktorientierung der auf dem Schienenverkehrsmarkt auftretenden Unternehmen sprechen. So wird ein privater Anbieter von Schienenverkehrsleistungen unter rein kaufmännischen Gesichtspunkten stets solche Zugleistungen und -verbindungen aufgeben (müssen), deren Ertragswerte negativ sind oder jedenfalls unterhalb der durchschnittlichen Rendite im Bahnsektor liegen. Die einem Glaubensbekenntnis gleichkommende Behauptung, konkurrierende Betreibergesellschaften übernähmen anschließend derartige Zugfahrten, Linien oder Netzteile, verklärt den Umstand, dass auch diese nach betriebswirtschaftlichem Kalkül operieren (müssen). Mit anderen Worten: Auch im Wettbewerb zwischen verschiedenen Zuggesellschaften führt der Rentabilitätsdruck zu einer Einstellung unprofitabler Streckenabschnitte – es sei denn, die Betreibergesellschaften werden dann doch wieder staatlich subventioniert.

Eben dies geschieht über die Regionalisierungsmittel, die der Bund den Ländern und Zweckverbänden für entsprechende Leistungen im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) bzw. im gesamten öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zahlt. Erkennbar können mehrere Schienenverkehrsunternehmen nicht gleichzeitig ihr Produkt – sprich: Bahnfahrten – auf demselben Schienenstrang anbieten. Der vermeintliche Wettbewerb um den schnellsten, preiswertesten und komfortabelsten Zug – verbunden mit vielen verschiedenen Fahrplänen – führt die Bahnfahrer*innen somit nicht ans Ziel, sondern ins Chaos. Kurzum: Die im Volksmund fest verankerte Losung „Wettbewerb belebt das Geschäft“ greift hier eben gerade nicht. Dass diese Gesetzmäßigkeit privaten Unternehmertums von der Mehrheit der Verkehrspolitiker*innen nicht gesehen wird, verwundert angesichts der augenfälligen Folgen.

Düstere Prognosen

Um nachzuvollziehen, wie das Bahnwesen erfolgreich von einem Staatsunternehmen ausgestaltet werden kann, lohnt ein Blick in die Schweiz. Das dortige Eisenbahnsystem gilt als das beste in Europa – mit einem flächendeckenden Angebot bis in entlegenste Winkel, einem integralen Taktfahrplan (der in Deutschland als „Deutschlandtakt“ im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist und angestrebt werden soll), einer weltweit bewunderten Pünktlichkeitsquote sowie beneidenswerten Fracht- und Fahrgastzahlen. Nicht ohne Grund kam der Schweizer Verband öffentlicher Verkehr (VöV) bereits vor Jahren zu dem Ergebnis, dass die auch auf EU-Ebene propagierte „Trennungsphilosophie ein fundamentaler Irrtum ist.“

Fast bleibt zu hoffen, dass das Insolvenzverfahren des privaten Zugbetreibers Abellio Rail die Ampelkoalitionäre zum Umdenken bewegt. Mit Dumpingpreisen hatte das Tochterunternehmen der niederländischen Staatsbahnen vor ein paar Jahren die Ausschreibungen von Zuglinien für sich entschieden. Wie schon andere Betreibergesellschaften hatte sich Abellio im Kampf um Marktanteile gerade auch in Konkurrenz zur DB Regio auf geradezu absurde Vertragsbedingungen eingelassen. So musste das Unternehmen selbst dann hohe Strafzahlungen für Zugausfälle und -verspätungen leisten, wenn diese durch Baustellen der DB Netz AG verursacht worden waren. Nun musste das Land NRW einspringen, indem es der Schienenpersonennahverkehrsbranche bis 2032 mit insgesamt 928 Millionen Euro unter die Arme greift. Aber statt die fatalen Folgen des ruinösen Wettbewerbs anzuerkennen und aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, betrachtete die seinerzeitige NRW-Verkehrsministerin Ina Brandes (CDU) das Desaster als üblichen Vorgang der Marktbereinigung. Auch dieses Beispiel zeigt: Es dürfte noch eine Weile dauern, bis sich auch auf (verkehrs-)politischer Ebene die Einsicht durchsetzt, dass ein modernes Verkehrswesen, auf das jedes Industrieland nicht zuletzt unter den Vorzeichen eines beschleunigten Klimawandels angewiesen ist, Sicherheiten und Perspektiven benötigt, die der Markt allein nicht bieten kann.


Tim Engartner ist Professor für Sozialwissenschaften mit dem Schwerpunkt ökonomische Bildung an der Universität zu Köln. Zuletzt ist seine Streitschrift mit Wolfgang Kubicki unter dem Titel „Privatisierung – Optimierung oder Entmenschlichung?“ im Westend Verlag erschienen.

Abellio: Pleite zeigt Folgen des Wettbewerbszwangs auf der Schiene

Abellio: Pleite zeigt Folgen des Wettbewerbszwangs auf der Schiene

Seit Jahrzehnten werden in Deutschland Aufträge für den Schienenpersonennahverkehr ausgeschrieben. Was als Fortschritt angepriesen wurde, schlägt sich in Wahrheit vielfach negativ nieder. Auch in Pleiten, wie das Beispiel der niederländisch-deutschen Abellio zeigt. 

Auf den ersten Blick scheint der Wettbewerb eine Erfolgsgeschichte zu sein: Seit 1996 kam es zu einer Steigerung der Zugtakte um rund 40 Prozent und der Personenkilometer um rund 65 Prozent. Die Zugtaktung wurde erhöht und neue Linien eröffnet. Damals übertrug der Bund die Organisation des regionalen Eisenbahnverkehrs an die Bundesländer und stellte entsprechende Finanzmittel bereit. Damit war es auch möglich, neues Zugmaterial anzukaufen, was bis heute als sichtbares Zeichen einer neuen Struktur im Bahnverkehr wahrgenommen wird. Dieses vermeintlich positive Bild trügt allerdings.

Die Ausschreibung von Verkehren führte zu der bizarren Situation, dass sich Tochterfirmen europäischer Staatsbahnen einen Wettbewerb lieferten. Während zu Beginn des Ausschreibungswettbewerbs noch satte Gewinne lockten, wurden gewonnene Verkehre spätestens in der zweiten Runde der Ausschreibungen Anfang der 2000er-Jahre zur Investitionsfalle. Mit Abellio und Keolis gingen in Deutschland Tochterfirmen zweier Staatsbahnen – nämlich aus den Niederlanden (NS) aus und Frankreich (SNCF) – pleite. Offenbar waren die Eigentümer*innen nicht länger bereit, verlustreiche Geschäfte im Ausland weiter mit öffentlichen Mitteln zu subventionieren. Die öffentlichen Aufgabenträger in Deutschland selbst mussten deshalb in vier deutschen Bundesländern tief in die öffentlichen Kassen greifen. Mit einem dreistelligen Millionenbetrag wurde mittels Not- und Neuvergaben sowie Nachverhandlungen ein Zusammenbruch der zahlreichen Verkehre verhindert. 

Pro Ausschreibung gibt es heute durchschnittlich nur noch 1,7 Angebote. Der Wettbewerb funktioniert also nicht. Woran liegt das? Ein Grund sind die Vorgaben der derzeit 27 Aufgabenträger aus 16 Bundesländern. Diese sind notwendig, um die Qualität der Verkehre zu sichern. Sie umfassen im betrieblichen Bereich die Fahrpläne, die Ausstattung der Fahrzeuge und die Ticketpreise. Im Personalbereich werden neben Tarifstandards nun auch immer mehr die Anzahl des Personals sowie Ausbildungsquoten vorgegeben. Gerade im Personalbereich wird der Fachkräftemangel nämlich zum kaum kalkulierbaren Risiko jeder Betriebsaufnahme bei einem Betreiberwechsel oder während der Vertragslaufzeit durch Anstieg der Fluktuation.

Die Unwägbarkeiten im Bereich der mittlerweile völlig überlasteten Eisenbahninfrastruktur führen in ganz Deutschland zu Problemen. Verantwortlich dafür ist die nicht abgestimmte Entwicklung der Verkehrsleistungen und mangelhafter Ausbau der Infrastruktur. Bei dichten Zugfolgen und knappen Wendezeiten wirken sich die häufigen Verspätungen auf ganze Zugnetze aus. Bestellerorganisationen reagieren darauf mit Pönalen in Millionenhöhe, die von den Eisenbahnen zu bezahlen sind – selbst wenn die Ursachen woanders liegen. Starre Verträge, mit einer Laufzeit von durchschnittlich zwölf Jahren und mehrjähriger Vorlaufzeit beinhalten kaum planbare Risiken. Durch den Unterbietungswettbewerb gingen die Unternehmen zusätzlich hohe Risiken ein, um Verkehrsleistungen zu gewinnen. Dass sie damit auch langfristige Verlustgeschäfte unterzeichneten, war vielen Verantwortlichen wohl nicht bewusst.

Derzeit wird in aktuellen Berichten trotzdem das Lied vom erfolgreichen Wettbewerb gesungen. Die Deutsche Bahn ist mit der DB Regio AG und deren Tochtergesellschaften nur noch 58,5 % der regionalen Eisenbahnverkehre verantwortlich. Der Wettbewerb von Eisenbahnen im Staatsbesitz, die mit öffentlichen Mitteln in jeweils anderen EU-Staaten um Marktanteile kämpfen, geht am Sinn und Zweck der Investition öffentlicher Mittel völlig vorbei. In Deutschland haben solche Unternehmen einen Marktanteil von rund 20 Prozent.

Hinzu gerechnet werden müssen ebenfalls Eisenbahnen in regionalem oder kommunalem öffentlichem Eigentum. Diese verkehren zumeist nur auf Strecken in ihrem Besitz und beteiligen sich dann an Ausschreibungen, wenn es um das eigene Bediengebiet geht. Damit die Statistiken besser aussehen, werden auch sie zu den Wettbewerbsbahnen gezählt. Immerhin haben solche Bahnen einen Marktanteil von rund elf Prozent. Echte Wettbewerbsbahnen – also Unternehmen, die mit privatem Kapital ausgestattet sind – bilden mit derzeit rund einem Zehntel des Verkehrsaufkommens das Schlusslicht.

Es ist unklar, wie hoch die rein administrativen Kosten des Ausschreibungswettbewerbs in Deutschland sind. Doch durch die immer detaillierten Vergabeverfahren entsteht ein Aufwand, der hohe Summen aus der Verkehrsleistung in die administrative Steuerung – auf die Seite der Aufgabenträger, aber auch der Unternehmen – verlagert. Zahlreiche Unternehmensberater*innen und Jurist*innen verdienen dabei kräftig mit. Teure Klageverfahren vor Vergabekammern und Gerichten finden regelmäßig statt.

Ohne einen leistungsfähigen Eisenbahnregionalverkehr sind die wichtigen Klimaziele im Verkehrssektor nicht zu erreichen. Eine gute Alternative zu den bisherigen Wettbewerbsvergaben in Deutschland könnten die nach wie vor zulässigen Direktvergaben sein, denn sie erheben nicht den Wettbewerb zum gefährlichen Selbstzweck, sondern stellen ohne große Reibungsverluste und Unwägbarkeiten die flächendeckende Verfügbarkeit und Verlässlichkeit der Eisenbahn in den Mittelpunkt.

Die Erfahrungen aus 28 Jahren Wettbewerb zeigt deutlich, dass die so oft behauptete Erfolgsgeschichte des Wettbewerbs im deutschen SPNV, der zu besserer Qualität und billigeren Preisen führen sollte, eben doch nur ein schlechtes Märchen ist.


Dieser Text basiert auf einer Analyse von Dirk Schlömer, Vorstand von mobifair e.V. Deutschland – Verein fairer Wettbewerb in der Verkehrswirtschaft.