Tim Engartner, Professor für Sozialwissenschaften an der Universität Köln, hat am 24. Mai an einer Podiumsdiskussion in Wien Zwischenergebnisse seiner Studie zur neoliberalen Bahnpolitik der EU vorgestellt.
Engartner erarbeitet die Studie im Auftrag der österreichischen Bahngewerkschaft Vida, des SEV und weiterer Partner vor dem Hintergrund des Versuchs der EU-Kommission, Ausschreibungen von Bahnleistungen obligatorisch zu erklären, bzw. sollen Direktvergaben unzulässig werden. Dagegen wehrt sich Vida in Österreich, wo sich Direktvergaben wie in der Schweiz bisher bewährt haben. Ausserdem geht es in Engartners Studie um die Erfolge und Misserfolge der europäischen Bahnliberalisierung.
Im Summary Paper «Verfehlte Weichenstellungen in Richtung Wettbewerb – oder: Warum die EU-Kommission die Bahn nicht auf die Erfolgsschiene bringt» zieht Engartner eine ernüchternde Bilanz der EU-Politik der letzten 20 Jahre. So lag im Jahr 2021 der Bahnanteil beim Güterverkehr in den 27-EU-Ländern nur bei 17 % und der Strassenanteil bei 77 %. Das sind 3 % mehr als 2011. Im grenzüberschreitenden Schienenpersonenverkehr wurden 2021 pro EU-Einwohner:in nur 23 Kilometer zurückgelegt und auf nationalen Zugfahrten 560. Gemäss Litra waren es 588 km pro Einwohner:in in den berücksichtigten europäischen Ländern, darunter die Schweiz auf Platz 1 mit 1628 km, vor Frankreich mit 1118 km und Österreich mit 933 km.
Fatale Fragmentierung
Der Misserfolg der Bahn in der EU ist gemäss Engartner auf die Politik der EU in Richtung Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung zurückzuführen. Bis in die Neunzigerjahre wurde das Bahnwesen nämlich noch umfassend reguliert, was eine langfristige Planung und Steuerung erlaubte. Als Beispiel nennt er die Fragmentierung des britischen Bahnsystems: «Nach wie vor bilden die Betreibergesellschaften gemeinsam mit den Zugleasingfirmen, mit dem 2002 gegründeten Infrastrukturbetreiber Network Rail sowie mit den zwischenzeitlich mehr als 2000 Subunternehmen ein kaum zu durchschauendes Interaktions- und Aufgabengeflecht», schreibt Engartner. «Waren die Verantwortlichkeiten zu Zeiten von British Rail eindeutig zu benennen, gab es infolge der Fragmentierung einen zusätzlichen Bedarf an bürokratischen Abläufen (…). Mindestens einen Impuls erhielt die britische Regierung dabei über die EU-Richtlinie 91/440/EWG: Diese forderte eine vom Staat unabhängige Geschäftsführung der Eisenbahnunternehmen (EVU) ein, schrieb sowohl die buchhalterische Trennung von Eisenbahninfrastruktur und (Eisenbahn-)Dienstleistungen als auch den wettbewerbsorientierten Zugang zu den Netzen der Mitgliedsstaaten für internationale EVU vor. (…) Eine Studie aus dem Jahr 2019 etwa hat ergeben, dass jeder Kilometer, den ein Fahrgast mit der Bahn zurücklegt, in Grossbritannien Gesamtkosten von umgerechnet 38,1 Eurocent verursacht, während die Kosten in der Schweiz mit umgerechnet 19 Eurocent knapp halb so hoch ausfallen.» Nun will die britische Regierung das Bahnsystem wieder stärker zusammenführen.
Kostspielige Ausschreibung
Engartner verweist auch auf die negativen Folgen des von der EU-Kommission propagierten intermodalen Wettbewerbs zwischen EVU und die Ausschreibungswettbewerbe im Besonderen: Diese verursachen im Vergleich zu Direktausschreibungen mehr Aufwand und Kosten für Auftraggeber und Auftragnehmer. Dazu kommen häufige juristische Anfechtungen der Verfahren. Kund:innen müssen oft eingeschränkte Angebote hinnehmen. Mitarbeitende der unterlegenen Bahnen rutschen vielfach in die «friktionelle» Arbeitslosigkeit. Und weil Trassengebühren und die Kosten für Energie und Rollmaterial für die EVUs weitgehend identisch sind, tragen sie den Wettbewerb vor allem über die Personalkosten aus. Zudem spielt der Wettbewerb oft nicht richtig: So wurden im Jahr 2022 in Deutschland bei 17 Bahnausschreibungen gerade mal 24 Offerten eingereicht, also 1,4 pro Ausschreibung, Tendenz weiter sinkend.
Ferner können Vergaben an Billigstanbieter, die nur an kurzfristigem Gewinn interessiert sind, für Besteller und Kunden zum Desaster werden, wie das Beispiel von Abellio Rail in Deutschland zeigt: Das Tochterunternehmen der niederländischen Staatsbahnen ergatterte vor einigen Jahren mit Dumpingangeboten den Zuschlag für etliche Regionalverkehrslinien. Es ging absurde Vertragsbedingungen ein, die ihm Strafzahlungen für Zugsausfälle und -verspätungen einbrockten, die es nicht bezahlen konnte, zumal der Mutterkonzern nicht einsprang. Das führte zu Gerichtshändeln mit den Verkehrsverbünden, und das Land Nordrhein-Westfalen musste für viel Geld Verkehrsleistungen bei anderen EVU einkaufen.
Doch statt aus solchen Erfahrungen zu lernen, will die EU-Kommission Ausschreibungen zur Pflicht machen, obwohl das vierte Eisenbahnpaket weiterhin Direktvergaben gleichberechtigt zulässt. «Angesichts der herausragenden Fahrgastzuwächse im österreichischen und schweizerischen Schienenverkehr stellt sich die Frage, warum das Erfolgsmodell der verkehrspolitischen Steuerung mittels Direktvergaben aufgegeben werden sollte», hält Engartner fest. Und er unterstreicht: Um die Bahn als klimafreundlichen Verkehrsträger in Europa voranzubringen, braucht diese vor allem mehr Investitionen.
Der Zufall führte Regie: Einen Tag, nachdem Bundeskanzler Karl Nehammer seinen „Autogipfel“ vor der EU-Wahl veranstaltete und dabei wieder das „Autoland“ Österreich ausrief, fand der Jahresempfang des Verbandes der Bahnindustrie (VBI) statt.
Klimaministerin Leonore Gewessler nutzte daraufhin ihre Begrüßungsworte, um Österreich als „Bahnland“ zu titulieren. Sieht man sich die Wirtschaftsdaten an, so ist diese Bezeichnung durchaus berechtigt: In der heimischen Bahnindustrie sind 15.000 Menschen direkt beschäftigt und erwirtschafteten eine Bruttowertschöpfung von etwa 1,6 Milliarden Euro. Mit einer Exportquote von 70 Prozent liegt Österreich in absoluten Zahlen weltweit an vierter Stelle (alle Daten für 2021).
Trotz dieser Faktenlage befindet sich die Branche in einer doppelten Zwickmühle: Auf der einen Seite ist auch hier der Fachkräftemangel bemerkbar. Nicht umsonst sprach VBI-Präsident Hannes Broyer „von den Skills der Beschäftigten in der KFZ-Industrie, die wir gerne abwerben möchten“. Andererseits macht sich Unbehagen über Billigkonkurrenz aus Asien breit. So setzt die Westbahn AG Garnituren des chinesischen Konzerns CRRC ein. Daher bräuchte es bei den Ausschreibungen verpflichtende Kriterien einer europäischen Wertschöpfung von mindestens fünfzig Prozent. Da der Ausbau der Bahnsysteme hauptsächlich über Steuergelder finanziert wird, sollte auch der wirtschaftliche Nutzen vor Ort bleiben. Es wird immer offensichtlicher, dass die Lieferketten kürzer und damit krisenfester werden müssen. Denn nicht nur die verspätete Auslieferung von bestellten Siemens-Triebwägen, sondern auch fehlende Ersatzteile aus Fernost brachten die ÖBB – neben anderen Faktoren – zu Jahresbeginn in ärgere Probleme. Speziell in der Ostregion musste der Fahrplan ausgedünnt werden.
Ein wirksames Instrument, das der Industrie eine gewisse Planungssicherheit gibt, sind die ÖBB-Rahmenpläne, die den Bahnausbau auf Jahre festschreiben. Diese haben inzwischen auch eine internationale Vorbildfunktion. Die Bahnindustrie kann jedenfalls von der überfälligen Mobilitätswende profitieren, sodass in diese Branche viele neue „Green Jobs“ entstehen könnten. Die Politik muss nur die richtigen Maßnahmen setzen – sei es beim weiteren Bahnausbau oder neuen Regeln bei der Beschaffung.
Heinz Högelsberger arbeitet in der Abteilung Umwelt und Verkehr der AK Wien.
Dieser Beitrag erschien zuerst am A&W-Blog. Von: Lukas Oberndorfer
Die Europäische Union hat sich zu Recht ehrgeizige Ziele in der Klima- und Verkehrspolitik gesetzt. Um diese zu erreichen, muss sie sich von ihrem marktliberalen Paradigma verabschieden und eine sozial-ökologisch planende Wirtschaftspolitik umsetzen. Nur mit einer aktiven Industrie-, Beschäftigungs- und Investitionspolitik kann die Mobilitätswende gelingen.
Ehrgeizige Ziele der EU
Die gute Nachricht zuerst: Die Europäische Union hat sich zu Recht ehrgeizige Ziele in der Klima- und Verkehrspolitik gesetzt: Bis 2050 strebt sie bekanntlich Klimaneutralität an. Als Zwischenziele will sie die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent und wie jüngst angekündigt bis 2040 um 90 Prozent gegenüber 1990 senken.
Aber – und das ist die schlechte Nachricht – die Union hat keinen langfristigen und realistischen Plan, wie sie diese Ziele erreichen kann. Zu diesem Schluss kommt kein Geringerer als der Europäische Rechnungshof in einem Sonderbericht über das europäische Fernverkehrsnetz.
Diese Planlosigkeit liegt allerdings nicht am mangelnden Ehrgeiz der zuständigen Generaldirektion Mobilität und Verkehr. Schließlich hat sie sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten als umtriebige Akteurin der Liberalisierung des Verkehrssektors positioniert. Vielmehr steht das Fehlen einer aktiven wirtschaftspolitischen Strategie zur Erreichung der klima- und verkehrspolitischen Ziele im Einklang mit dem marktliberalenParadigma, dem die Generaldirektion nach wie vor verhaftet zu sein scheint: Demnach besteht die Aufgabe der Politik darin, Ziele zu setzen und einen Ordnungsrahmen für die Liberalisierung vorzugeben. Den operativen „Rest“ erledigt dann gleichsam magisch die viel beschworene unsichtbare Hand des Marktes.
Dies wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, wie groß die Herausforderungen allein im Bereich der europäischen Eisenbahnen sind: So kommt eine kürzlich veröffentlichte Studie zu dem Ergebnis, dass das Ziel einer Verdreifachung des Hochgeschwindigkeitsbahnverkehrs Investitionen in die Infrastruktur von rund 550 Milliarden Euro braucht. Darüber hinaus hat die Kommission selbst errechnet, dass in der EU jährlich 46 Milliarden Euro in Schienenfahrzeuge investiert werden müssen. Und die Einführung des Europäischen Eisenbahnverkehrsleitsystems (ERMTS), das mehr Sicherheit und eine höhere Netzkapazität ermöglicht, erfordert bis 2050 Investitionen in Höhe von 190 Milliarden Euro.
Mit welchem Plan begegnet nun die Kommission diesen gewaltigen Herausforderungen? Zum einen mit viel zu geringen Investitionen: Die Connecting Europe Facility stellt jährlich rund 5 Milliarden Euro für alle transeuropäischen Netze (also auch Straßen) zur Verfügung, der Aufbaufonds insgesamt 55 Mrd. Euro für Eisenbahnprojekte – allerdings läuft dieser 2026 aus.
Liberalisierung gescheitert
Auf der anderen Seite setzt die EU-Kommission auf die weitere Liberalisierung des Schienenverkehrs, um ihre klima- und verkehrspolitischen Ziele zu erreichen. Zu Beginn der Liberalisierung hatte die Kommission noch argumentiert, man müsse abwarten, wie sich ihre Ausnahmen auswirken. Sie hatte auch für sich reklamiert, dass es angebracht sei zu beobachten, welche Effekte ihre Maßnahmen zeitigen. Nach mehr als 30 Jahren ist es jedoch an der Zeit, Bilanz zu ziehen. Denn schon in der Richtlinie zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen von 1991, mit der die Liberalisierung eingeleitet wurde, hatte sich die Union zum Ziel gesetzt, den Anteil der Schiene am Verkehrsmarkt zu erhöhen. Doch der Anteil der Schiene ist im Güterverkehr im Vergleich zu 1995 von 15,6 Prozent auf 11,9 Prozent (2021) massiv gesunken und verharrt im Personenverkehr auf niedrigem Niveau. Die Arbeitsbedingungen, die bei ansonsten mehr oder weniger fixen Kosten für Energie und Schienenfahrzeuge die einzige zentrale Stellschraube für den Preiswettbewerb darstellen, haben sich seither aber massiv verschlechtert. Sie sind der Hauptgrund dafür, dass der gesamte Eisenbahnsektor derzeit unter einem ausgeprägten Arbeitskräftemangel leidet.
Weit entfernt von einer evidenzbasierten Politik reagiert die Generaldirektion Mobilität und Verkehr auf diese Bilanz. Nachdem das Eisenbahnsystem die Medizin der Liberalisierung nicht vertragen hat, erhöht sie nun die Dosis: Bereits 2016 wollte sie die verpflichtende wettbewerbliche Vergabe des gemeinwirtschaftlichen (d. h. nicht kostendeckenden) Schienenpersonenverkehrs durchsetzen. Damit scheiterte sie jedoch am Europäischen Parlament, das in der zugrundeliegenden PSO-Verordnung festhielt, dass das bisherige System der Direktvergabe unter Einhaltung bestimmter Kriterien weiterhin zulässig ist.
2023 veröffentlichte die Kommission nun Auslegungsleitlinien zur PSO-Verordnung, mit denen sie – quasi durch die exekutive Hintertür – doch noch ihr Ziel zu erreichen versucht. Sie will damit die Anwendung der Direktvergabe – entgegen dem Wortlaut der Verordnung des europäischen Gesetzgebers – nur noch in Ausnahmefällen zulassen. Zwei Professoren für Europarecht und öffentliches Recht kommen in einem dazu erstellten Gutachten zum Schluss, dass dies rechtswidrig und rechtsstaatlich bedenklich ist. Einmal mehr zeigt sich ein Muster: In der Krise des Marktliberalismus wird zunehmend mit exekutiven und undemokratischen Mitteln versucht, diesen zu vertiefen.
Tim Engartner, Professor für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Köln, der derzeit im Auftrag der Arbeiterkammer und der Gewerkschaft vida die Folgen der Liberalisierung in verschiedenen europäischen Ländern untersucht, sieht hingegen die Zukunft in einem öffentlichen Bahnsystem. Statt die Liberalisierung weiter voranzutreiben, müsse die EU-Kommission ihren Fokus auf staatliche Investitionen in die Bahninfrastruktur lenken.
Den positiven Zusammenhang zwischen öffentlichen Investitionen in das Eisenbahnsystem einerseits und mehr Verkehr auf der Schiene andererseits belegt er unter anderem mit einem Blick in die Schweiz. Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) beweisen täglich, wie ein staatlich organisiertes Bahnsystem hocheffizient, nahezu flächendeckend und mit breiter Akzeptanz in der Bevölkerung betrieben werden kann. Während in vielen EU-Staaten unter Druck der Liberalisierung und Kürzungspolitik immer mehr Strecken stillgelegt wurden und werden, beherzigt die Geschäftsführung der SBB mit dem Ausbau des Regional- und Nahverkehrs ein ehernes Gesetz der Verkehrswissenschaft: Angebot schafft Nachfrage.
Sozial-ökologische Planung für eine Mobilitätswende, die Europa verbindet
All dies zeigt, dass die Probleme der Zukunft nicht mit den überholten Mitteln der Vergangenheit gelöst werden können. Wenn die klima- und verkehrspolitischen Ziele der Union tatsächlich erreicht werden sollen, darf Verkehrspolitik nicht länger als Wettbewerbspolitik missverstanden werden. Notwendig ist eine aktive und planende Wirtschaftspolitik, die im Bereich der Eisenbahnpolitik aus mindestens drei Säulen besteht:
Öffentliche Finanzierung der Mobilitätswende: Das europäische Eisenbahnsystem benötigt – wie oben dargestellt – rasch umfassende Investitionen, um die Mobilitätswende einzuleiten. Dazu braucht es einen Ausbau des Regionalverkehrs und des grenzüberschreitenden Fernverkehrs, um Pendler:innen und Reisenden Freiheit von Auto und Flugzeug zu ermöglichen. Sozial-ökologische Investitionen in den Schienenverkehr müssen daher von den EU-Fiskalregeln ausgenommen werden. Zudem braucht es ab 2026 einen Nachfolger für den Aufbaufonds, damit zusätzliche europäische Mittel für den Ausbau, die Vernetzung und die Modernisierung des Schienennetzes als genuin europäische Infrastruktur zur Verfügung stehen. Als Gegenfinanzierung bietet sich u. a. eine Kerosinsteuer in der EU oder zumindest in möglichst vielen EU-Ländern an.
Aktive Industriepolitik zur Stärkung der europäischen Eisenbahnindustrie:
Die europäische Bahnindustrie und ihre technologische Vorreiterrolle werden durch mehr als 659.000 Beschäftigte ermöglicht. Wenn die Produkte der Mobilitätswende – u. a. Schienenfahrzeuge, Schienen und E-Busse – schnell genug und auch in Zukunft möglichst regional und mit guten Arbeitsbedingungen hergestellt werden sollen, braucht es eine aktive und planende EU-Industriepolitik.
Leider passiert auf EU-Ebene derzeit genau das Gegenteil: Im EU-Industrieplan für den Green Deal 2023 werden weder der Schienenverkehr noch die Bahnindustrie erwähnt, obwohl es sein ausdrückliches Ziel ist, „Netto-null-Technologien und -Produkte zu fördern, die zur Erreichung der ehrgeizigen Klimaziele Europas erforderlich sind“. Auch ist die Bahnindustrie bisher nicht als „wichtiges Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse“ definiert und darf daher weiterhin grundsätzlich keine öffentlichen Beihilfen erhalten. Es ist sachlich nicht zu rechtfertigen, dass mit der Begründung, klimapolitische Ziele erreichen zu wollen, z. B. die Batteriezellenproduktion und der Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur als wichtige Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse gefördert werden, während die Herstellung moderner Bahnprodukte außen vor bleibt.
Offensive Beschäftigungspolitik und Verbesserung der Arbeitsbedingungen:
Weil die Liberalisierung auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wurde, leidet der europäische Eisenbahnsektor bereits heute unter einem massiven Arbeitskräftemangel. Nur mit guten Arbeitsbedingungen und höheren Löhnen wird es gelingen, das Personal für die notwendige Mobilitätswende zu gewinnen. Daher muss das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ auch im Eisenbahnsektor europarechtlich verankert werden. Arbeits-, Lenk- und Ruhezeiten müssen digital aufgezeichnet werden, um deren Umgehung durch die Eisenbahnunternehmen zurückzudrängen. Sicherheits- und Ausbildungsstandards dürfen nicht nach unten nivelliert werden, sondern müssen im Interesse der Beschäftigten und Fahrgäste auf höchstem Qualitätsniveau harmonisiert werden.
Teil dessen muss sein, dass kein Zug ohne Zugbegleiter:in geführt wird und Züge mit vielen Fahrgästen von mindestens zwei Zugbegleiter:innen betreut werden. Dies erhöht die Sicherheit aller – vor allem in Notfällen –, entlastet die Triebfahrzeugführer:innen bei der Abwicklung der Notfallkette und ermöglicht die Unterstützung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen (insbesondere Ältere und Menschen mit Behinderung). Statt menschenleerer „Geisterbahnhöfe“ braucht es personell gut ausgestattete „Mobility Hubs“ als Umsteigedrehscheiben. Mehr Personal bedeutet mehr Sicherheit, mehr Komfort und gute Kommunikation – das macht Bahnfahren für viele attraktiver.
Um den für die Mobilitätswende notwendigen Personalaufbau realisieren zu können, benötigen die Eisenbahnunternehmen eine entsprechende Finanzierung. Darüber hinaus sind verstärkte Investitionen in Ausbildungsplätze und Weiterbildung notwendig.
Die Bahnen waren im 19. Jahrhundert Schrittmacher des Fortschritts, fristeten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts jedoch ein eher kümmerliches Dasein. Mit einer neuen sozial-ökologischen Wirtschaftspolitik auf europäischer und nationaler Ebene könnten „Unsere Bahnen“ jetzt zum Rückgrat einer Mobilitätswende werden, die für alle erschwinglich und zugänglich ist.
Lukas Oberndorfer ist Leiter der Abteilung Umwelt und Verkehr der AK Wien.
Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0: Dieser Beitrag ist unter einer Creative-Commons-Lizenz vom Typ Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International zugänglich. Um eine Kopie dieser Lizenz einzusehen, konsultieren Sie http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/.
Sofortige Maßnahmen gefordert, um den Güterverkehr wieder vermehrt auf die klimafreundliche und sozial verträgliche Schiene zu bringen
Wien, 30.4.2024 – Gerhard Tauchner, Vorsitzender des Fachbereichs Eisenbahn in der Gewerkschaft vida, appelliert an die Abgeordneten des Nationalrates, endlich Maßnahmen zu ergreifen, um die Verlagerung des Schienengüterverkehrs auf die billigere Straße zu stoppen. Wie die Statistik Austria heute berichtet, verzeichneten wir 2023 einen deutlichen Rückgang bei den auf der Schiene transportierten Gütern von elf Prozent. „Die Zahlen der Statistik Austria sind keine Überraschung für uns. Wir warnen seit längerem davor, dass die steuerliche Begünstigung, insbesondere des LKW-Transits, zu einer weiteren Verlagerung des Güterverkehrs auf die Straße führen wird“, so Tauchner
Diese Situation wird sich 2024 noch weiter verschärfen, betont Tauchner. Denn mit der neuen österreichischen Wegekostenrichtlinie lässt die österreichische Bundesregierung Milliarden auf der Straße liegen und fördert damit genau den LKW-Transit.
Zu dieser Entwicklung hat die Gewerkschaft vida erst im Jänner gemeinsam mit Organisationen der Klimabewegung im Rahmen der Kampagne „Unsere-Bahnen“ mit einer Aktion vor der WKÖ aufmerksam gemacht. Das Problem: Die Frächterlobby für den Straßengüterverkehr vergisst auf die Interessen der Arbeitnehmer:innen, der transitgeplagten Bevölkerung, der Schienengüterverkehrsbranche und letztendlich auch auf die dringenden Maßnahmen zur Überwindung der Klimakrise. „Die Steigerung des Straßengüterverkehrs bezahlen wir alle als Steuerzahler*innen: Sicherheit auf der Straße, vermehrte Schäden der Straßeninfrastruktur, sowie die Gesundheitsbelastung der Anrainer:innen dürfen nicht der Gesellschaft in Rechnung gestellt werden“, so Tauchner.
„Wir fordern schon länger eine Verladeförderung, wie sie kürzlich auch von der Tiroler Landesregierung beschlossen wurde. Mit dieser Förderung kann die Wettbewerbsverzerrung zugunsten der Straße zumindest etwas ausgeglichen werden. Es kann jedenfalls nicht so weitergehen, dass die Bundesregierung insbesondere den ausländischen LKW-Frächtern die Reifen vergoldet“, so Gerhard Tauchner von der Gewerkschaft vida abschließend.
Österreichs Regionalbahnen haben eine wechselhafte Geschichte. Einst weit verzweigt, wurden in den letzten Jahrzehnten viele Strecken eingestellt. Nun gäbe es die Chance auf eine Renaissance – aber sie droht, vergeben zu werden.
Nach der Fertigstellung des Netzes der Hauptbahn-Korridore, wurde gegen Ende des 19. Jahrhundert mit der flächenmäßigen Erschließung durch sogenannte Nebenbahnen begonnen. Diese waren hauptsächlich für den Gütertransport vorgesehen. Die Streckenführung sollte Betriebsstandorte (Fabriken, Säge- und Bergwerke) erschließen und dabei möglichst kostengünstig sein. Geschwindigkeit hatte keine Priorität. Die Trassierung folgte mäandrierend der Geländeform, die Anbindung von Wohngebieten war weniger wichtig bzw. wurde sogar aktiv bekämpft. Häufig endeten Nebenbahnen am Talschluss oder mitten in der Landschaft. Man plante zwar Verknüpfungen mit benachbarten Bahnlinien, doch wurden diese spätestens mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs gestoppt. In der Ersten Republik fehlte schlichtweg das Geld für allfällige Ausbaupläne. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Grenzen zu Osteuropa noch undurchlässiger, grenzüberschreitende Nebenbahnlinien dadurch gekappt. Die Mehrzahl der Nebenbahnen endete also in Sackgassen. Die hier beschriebene Gemengelage – verbunden mit einem jahrzehntelangen Investitionsstopp und dem Aufkommen des Autos – machte es der Verkehrspolitik leicht, sehr viele Nebenbahnen einzustellen: Innerhalb der letzten fünf Jahrzehnte wurde hierzulande auf mehr als tausend Streckenkilometern der Personenverkehr eingestellt. Der Fall des Eisernen Vorhangs hätte die Chance gegeben, die grenznahen Regionalbahnen aufzuwerten und zahlreiche Lücken wieder zu schließen. Mit Ausnahme der Verbindung Retz – Znaim wurden dies jedoch nicht gemacht.
Eine Frage des Geldes
An den aktuellen Rahmen- und mittelfristigen Investitionsplänen (=MIP) für den Zeitraum 2021 bis 2025 bzw. 2026 sieht man, dass die verbliebenen Regionalbahnen immer noch mit recht wenig Geld auskommen müssen (siehe Tabelle).
Zukunftsmusik sind daher die Ausbaupläne der Regionalbahnen im Bereich der Städte Linz und Salzburg. Dass es anders gehen kann, zeigt das Schweizer Beispiel der Rhätischen Bahn: Diese ist eine leistungsfähige Schmalspurbahn im Hochgebirge, die sowohl als Touristenmagnet wirkt, aber auch Güter befördert. Eine andere Erfolgsgeschichte ist die Südtiroler Vinschger Bahn. Nach der Wiedereröffnung im Jahr 2005 stiegen die Fahrgastzahlen so rasant an, dass nun die Elektrifizierung vorbereitet wird.
„Jede Region hat das Verkehrsmittel, welches sie verdient“, meinte dazu – leicht provokant – Bahnexperte Gunter Mackinger kürzlich bei einer Diskussion. Eine Region müsse sich mit ihrer Bahn identifizieren. Dafür brauche es positive Emotionen und Menschen „zum Angreifen“. Gemeinden entlang von Bahnlinien müssten dafür sorgen, dass die wichtigsten Frequenzbringer (Geschäfte, Ärztezentren, Betriebsansiedlungen, Kinos usw.) nicht mehr als 300 Meter von der nächsten Haltestelle entfernt sind.
Das aktuell diskutierte „Zielnetz 2040“ – also das Konzept für ein österreichisches Schienennetz der Zukunft – hält für Regionalbahnen drei schlechte Nachrichten bereit: Einerseits soll keine einzige stillgelegte Linie wieder reaktiviert werden. Zweitens sind keine grenzüberschreitenden Lückenschlüsse vorgesehen. Und drittens gibt es, anders als in der Schweiz, auch keine Vision, das Bahnnetz vollständig zu elektrifizieren. Auch nach 2040 sollen noch Akkuzüge in Österreich unterwegs sein.
Symptomatisch für das halbherzige Herangehen ist der Umgang mit der Franz-Josefsbahn: Dort wird zwischen Gmünd und Wien eine Kantenzeit von zwei Stunden angestrebt. Solche Fahrzeiten weisen die schnellsten Verbindungen schon jetzt auf! Die Bezirkshauptstadt Horn soll immer noch nicht direkt an die Hauptstrecke angebunden werden, stattdessen begnügt man sich mit einer neuen Schleife in Sigmundsherberg. Es ist auch keine Streckenbegradigung geplant, wie es sich im Raum Allentsteig anbieten würde.
Die vorhandenen Regionalbahnen werden also weiter bestehen bleiben. Eine echte Renaissance, bei der sie eine tragende Rolle bei der Erreichung einer flächendeckenden Mobilitätsgarantie spielen können, ist aber nicht zu erwarten.
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