Flat Preloader Icon
„Die Mobilitätswende produzieren“ – eine AK-Studie über die heimische Bahnindustrie

Um die Fahrzeuge und Infrastruktur für die Mobilitätswende zu produzieren, braucht es einen industriepolitischen Plan. Die heimische Bahnindustrie ist der „hidden champion“ der österreichischen Volkswirtschaft und hat enormes Potential. Eine AK-Studie erhebt, wie wir die nötige Infrastruktur, Schienenfahrzeuge und Busse in Österreich selbst produzieren können.

Chancen für Industrie und Klimaziele 

In der Debatte um die Industrierezession weitgehend unbemerkt entwickelt sich die heimische Bahnindustrie zu einer stillen Heldin: Österreich war im Jahr 2021 mit einem Volumen von 1,8 Milliarden Euro weltweit viertgrößter Exporteur von Gütern der Bahnindustrie. Zahlreiche Unternehmen sind Weltmarktführer in ihrem Bereich. Ihr Erfolgsrezept? Die 15.000 direkt in der Bahnindustrie Beschäftigten sind gut qualifiziert und in hohem Maß gewerkschaftlich organisiert. Das schafft attraktive und sichere Arbeitsbedingungen. Durch öffentliche Investitionen kann die Bahnindustrie langfristig planen.

Österreichs größtes Hindernis auf dem Weg zu den Klimazielen ist nach wie vor der Verkehrssektor. Die Abkehr von Auto ist nur möglich, wenn es attraktive Alternativen gibt. Der öffentliche Verkehr muss also massiv ausgebaut werden. Unzählige Kilometer an Schienen müssen produziert und verlegt, neue Züge gebaut werden. Beides leistet die in Österreich stark vertretene Bahnindustrie. Auf dem Weg zu den Klimazielen ist sie unsere Lokomotive.  Die heimische Bahnindustrie hat großes Potenzial, die für die Mobilitätswende notwendigen Güter in der erforderlichen Stückzahl zu erzeugen und zahlreiche qualitativ hochwertige Industriearbeitsplätze zu schaffen. Österreich könnte die Bahnfabrik Europas werden, wenn es den dafür nötigen Plan entwickelt und umsetzt.

AK-Studie „Die Mobilitätswende produzieren“ 

Um das Potenzial der heimischen Bahnindustrie auszuloten, hat die AK eine umfassende Studie bei der Johannes-Kepler-Universität in Auftrag gegeben. Darin werden (1) Geschichte und Struktur der Bahnbranche analysiert und (2) der volkswirtschaftliche Nutzen des Bahnausbaus mittels Input-Output-Analysen kalkuliert. (3) Qualitative Interviews mit Manager:innen und Betriebsrät:innen, zeigen deren Einschätzung der Lage sowie Strategien für die Zukunft. (4) Ein Teilprojekt beschäftigt sich auch mit der Frage, ob der Kfz-Standort Steyr auch für die Produktion von Elektrobussen genutzt werden könnte.

Das Ergebnis der Studie: Österreich könnte zum Bahnproduzenten Europas werden, wenn die gigantischen europäischen Verkehrsziele ernst genommen werden und eine industriepolitische Strategie zu deren Umsetzung entwickelt wird. Es wäre also im österreichischen Interesse, die Eisenbahnindustrie auf europäischer Ebene zu forcieren.

Damit die skizzierten Möglichkeiten auch tatsächlich genutzt werden können, muss sich eine neue Regierung zu einer nachfrageseitigen Industriepolitik bekennen. Den größten Hebel gibt es bei der öffentlichen Beschaffung, die regionale bzw. europäische Wertschöpfung zur Bedingung macht, und soziale und ökologische Kriterien vorschreibt. Die Bahnindustrie verdient eine zielgerichtete Unterstützung durch eine Innovationsstrategie, in der Unternehmen, Universitäten, Verwaltung und Förderinstitutionen eng kooperieren. Konkrete und regionale Konzepte sind dann erfolgreich, wenn sie gemeinsam mit der Belegschaft erarbeitet wurden. Die vorhandene Schwarmintelligenz und das Know-how der Beschäftigten spielen bei Umstrukturierungen eine große Rolle. Durch staatliche Beteiligungen über die ÖBAG (Österreichische Beteiligungs AG) könnten strategisch wichtige Betriebe als Produzenten der Mobilitätswende genutzt werden. Für den Ausbau der Bahnnetze braucht es Investitionen: Es darf keine massiven Kürzungen beim „Zielnetz 2040“ und bei den ÖBB-Rahmenplänen geben, denn das würde unsere gut aufgestellte Bahnindustrie schwächen.  Die Berechnungen der Studie ergeben, dass durch Investitionen im Umfang des Zielnetz 2040 bis zu 24,4 Mrd. Euro an zusätzlicher Wertschöpfung sowie bis zu 230.000 Jahresarbeitsplätze über den Investitionszeitraum generiert werden können. Der Wertschöpfungsmultiplikator von 1,20 zeigt, dass öffentliche Investitionen in diesen Bereich starke ökonomische Hebelwirkungen entfalten. Diese Effekte sind deshalb so wirkungsvoll, weil die Investitionen in vielen anderen Branchen zusätzliche Wertschöpfung anstoßen. Bei einem Auftragsvolumen von einer Milliarde Euro in Rollmaterial entstehen wiederum 4.000 neue Industriearbeitsplätze.

Es braucht also ein Gesamtpaket gut abgestimmter Maßnahmen, welches die Beschäftigten und ihr Recht auf gute und nachhaltige Mobilität in den Mittelpunkt stellt. Die Stärkung der Bahnindustrie bedeutet, den Ausbau klimafreundlicher Infrastrukturen für das gute Leben für alle auch produktionsseitig sicherzustellen. Damit setzt die AK den Verzichtsdebatten mit erhobenem Zeigefinger und dem Verteilungskampf von oben unter dem Schleier der Wettbewerbsfähigkeit etwas entgegen: eine Wirtschaftspolitik für die Vielen.

Forderungen der AK 

  • Nachfrageseitige Industriepolitik: Die Bahnindustrie durch öffentliche Beschaffung stärken. Diese soll an soziale und ökologische Kriterien geknüpft werden und einen Mindestanteil an europäischer Wertschöpfung vorsehen („local content“-Auflagen). Kürzere Lieferketten sind auch weniger störanfällig.
  • Europäische Finanzierung: Die AK fordern eine Ausnahme von den Fiskalregeln für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs, sowie eine Aufstockung des EU-Budgets.
  • Verkehrspolitische Ziele (=Mobilitätsmasterplan) nicht aufweichen: Der öffentliche Verkehr muss weiter ausgebaut werden. Eine Gegenfinanzierung gäbe es mit einer flächendeckenden LKW-Maut und über eine Ausschöpfung der Wegekostenrichtlinie, die 800 Mio. Euro zusätzlich bringen würde.
  • Im Rahmen der angekündigten Industriestrategie soll die Bundesregierung aktiv die gezielte Kooperation von Unternehmen, Universitäten, Verwaltung und Förderinstitutionen in Industrieregionen für die Bahnwirtschaft forcieren.
  • Instrumente der öffentlichen Beteiligung an Industrieunternehmen nutzen: Strategisches öffentliches Eigentum kann zum Erhalt der industriellen Basis oder zur Entwicklung von Schlüsselindustrien für die Mobilitätswende dienen.
  • Arbeitsplätze und Menschen zusammenbringen: Es braucht eine Ausbildungsoffensive für die Bahn, sowie die gezielte Förderung von Frauen und älteren Arbeitnehmer:innen, Begrenzung Leiharbeit in der Industrie. Durch gezielte Betriebsansiedlungen sollten „die Jobs zu den Menschen kommen“ – und nicht umgekehrt.

Landkarte der österreichischen Bahnindustrie (Darstellung von Julia Stern, Zahlen aus dem Austrian Rail Report des Verbands der Bahnindustrie, 2023):

Beschäftigungseffekt nach Sektoren (Mobilitätswende produzieren): 

Weiterführende Links:

Studie „Mobilitätswende produzieren“

AW-Blog: Zug um Zug: So wird Österreich zur Bahnfabrik Europas

Weiterlesen

Die Zukunft der Eisenbahn: Was steht im neuen Regierungsprogramm?

Die Zukunft der Eisenbahn: Was steht im neuen Regierungsprogramm?

In unserem Wahlcheck haben wir analysiert, wie die einzelnen Parteien die Zukunft der Bahn gestalten wollen. Jetzt werfen wir einen genaueren Blick auf das Regierungsprogramm der schwarz-rot-pinken Koalition: Welche Pläne gibt es für die Bahninfrastruktur und was...

Der Verkehrssektor braucht mehr qualifizierte Frauen

Der Verkehrssektor braucht mehr qualifizierte Frauen

In der Güter- und Personenbeförderung auf Straße und Schiene fehlen qualifizierte Arbeitskräfte - vor allem aber fehlt es an Frauen! Warum gibt es auch 2024 immer noch so wenig Frauen hinter dem Lenkrad eines Busses, Lkws oder im Führer:innenstand einer Lok? Welche...

FPÖ-Pläne: Kürzungen im Bahnsektor?

FPÖ-Pläne: Kürzungen im Bahnsektor?

Am 7. Jänner 2025 erschien in „Die Presse“ ein Artikel mit dem Titel „Wo die Freiheitlichen sparen wollen“. Als mögliche Maßnahmen wurde dabei ein Stopp der Bahnoffensive und eine „temporäre Einschränkung des ÖBB-Angebots“ genannt. Doch was bedeutet das konkret? Stopp...