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Chicago möchte Wien werden: Warum der Schienenpersonenverkehr in die öffentliche Hand gehört.

Was in Österreich selbstverständlich scheint, ist anderswo eine große Herausforderung. In Chicago zeigt sich, was passiert, wenn Schienenverkehr privatisiert wird – und dann erst recht wieder von der öffentlichen Hand gerettet werden muss.

Die Geschichte von Metra in Chicago

In Chicago, der drittgrößten Stadt der USA, wird der regionale Schienenpersonenverkehr von Metra betrieben. Metra ist ein öffentliches Unternehmen unter dem Dach der bundesstaatlichen Verkehrsbehörde und bildet mit elf Linien und 242 Stationen das Rückgrat des Pendlerverkehrs in der 10-Millionen-Einwohner:innen-Region.

Metra verbindet die Vororte mit dem Stadtzentrum und ist deshalb besonders wichtig für sozial benachteiligte Bewohner:innen, die vorwiegend im Süden von Chicago leben. Ohne Metra wären sie vollkommen abgeschnitten vom Leben und den Jobchancen in Downtown Chicago, denn ein Auto können sich von ihnen die Wenigsten leisten. Daher scheint es nur sinnvoll, wenn die öffentliche Hand versucht, diese sozialen Unterschiede auszugleichen.

Metra war aber nicht immer ein öffentliches Unternehmen. Bis 1984 lag der Pendlerverkehr in den Händen privater Eisenbahnbetreiber. Diese zogen sich nach und nach aus dem Personenverkehr zurück, weil dieser nicht rentabel genug war, und setzten nur mehr auf den lukrativeren Schienengüterverkehr – ein Szenario, das auch anderswo droht, wenn private Betreiber sich nur Rosinen rauspicken können. Der Bundesstaat musste eingreifen und Metra wurde gegründet, um das für die Bevölkerung notwendige Verkehrsnetz aufrechtzuerhalten.

Die Folgen privater Kontrolle

Als Metra 1984 gegründet wurde, erbte das Unternehmen ein kaputtgespartes System mit veralteter Infrastruktur. Investitionen in neue Schienen, neue Leitsysteme oder neues Zugmaterial lohnten sich für die privaten Betreiber nicht – die hätten den Gewinn gedrückt und waren daher nicht vorgesehen. Metra betreibt heute den Regionalverkehr im Raum Chicago auf sieben ehemaligen privaten Linien. Weil damit aber nicht alle Vororte angebunden sind, werden Leistungen zugekauft, also an andere Unternehmen vergeben. Das betrifft vier zusätzliche Linien, die zwar nicht im Eigentum, aber im Auftrag von Metra fahren. Es wird wenig überraschen, dass dieses zusammengeflickte Stückwerk wenig effizient ist, und das Unternehmen vor große Herausforderungen stellt, wenn es darum geht, Regionalverkehr für den Chicago-Raum anzubieten.

Natürlich hinterlassen auch die fehlenden Investitionen der vergangenen Jahrzehnte ihre Spuren. Das Unternehmen setzt Waggons ein, die zwischen den frühen 1950er Jahren und 1980 gebaut wurden. Nur eine der elf Linien in der drittgrößten Metropole der USA ist elektrifiziert, auf den übrigen fahren Dieselzüge durch die Stadt. Der gesamte Reinvestitionsbedarf von Metra beläuft sich auf schätzungsweise 9,4 Milliarden US-Dollar, während das jährliche Investitionsprogramm – bei der ÖBB-Infrastruktur AG wäre das der Rahmenplan – bei lediglich knapp einer halben Milliarde US-Dollar liegt. Zur Einordung: 2023 investierte Österreich 336 Euro pro Einwohner:in in den Ausbau und die Erneuerung des Schienensystems, in Deutschland waren es 115 Euro. In Chicago betragen die Reinvestitionen in Bahninfrastruktur und Fahrzeuge zusammen nur 60 Euro pro Einwohner:in des Servicegebietes. Mit diesen Mitteln werden die notwendigsten Investitionen getätigt, etwa einstürzende Brücken oder Stiegen. Der rückständige Reinvestitionsbedarf kann jedoch nicht gedeckt werden.

Die Probleme, die Metra heute hat, wurden also von den privaten Eigentümern mitgeerbt – frei nach dem Motto Gewinne privatisieren, Verluste verstaatlichen.

Herausforderungen der Zukunft

Metra steht vor einer unsicheren Zukunft. Ein Fünftel des operativen Budgets wird auch im Jahr 2024 noch von COVID-Subventionen abgedeckt, die in zwei Jahren auslaufen werden. Wie diese finanzielle Lücke danach geschlossen werden kann, ist unklar. Das Investitionsprogramm ist stark abhängig von staatlichen und bundesstaatlichen Förderprogrammen, die sich je nach politischer Lage aber schnell ändern können. Das Infrastrukturpaket von US-Präsident Biden hat zwar einen kurzfristigen Finanzierungsboost gebracht, eine Weiterführung ist aber unklar und hängt nicht zuletzt vom Ausgang der Präsidenschaftswahlen im November ab.

Lessons Learned

Der Fall Metra in Chicago zeigt, wie gefährlich es sein kann, wenn notwendige öffentliche Dienstleistungen in private Hände geraten. Ein gut finanzierter, öffentlicher Schienenpersonenverkehr ist essenziell für das Wohlergehen und die Chancengleichheit aller Bürger:innen. Es lohnt sich daher auch in Europa und in Österreich, jeglichen Bestrebungen von Privatisierungen oder Liberalisierungen klar entgegenzustehen.

Julie Freidl – Ökonomin und Eisenbahnerin, hat vergangenes Jahr bei Metra in Chicago gearbeitet.

 

 

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